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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml
Autoren: Vladimir Sorokin
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Schwein. Über dem nahen Wald kreiste ein
     Schwarm Krähen.
    Sascha ging die Stufen hinunter, über die Wegplatten am
     Gemüsegarten vorbei zum Holzstoß, um den Stoß herum zum Klo. Drinnen war es duster
     und roch nach angetauter Scheiße. Sascha raffte den Rock, zog die Gamaschen in die
     Kniekehlen und die wollenen Schlüpfer. Der Strahl ihres Urins verursachte ein
     murmelndes Geräusch. Sascha zog ein Stück der gevierteilten Zeitung Rus vom Nagel, hielt es in Augenhöhe, las die
     abgerissene Titelzeile: …RRAGENDE BILANZEN. Darunter prangte das Porträt von Minister Nedr mit dem akkuraten Bärtchen. Die
     Zeitung wurde in der Kreisstadt gedruckt, nicht alle Bilder waren lebend, wie das
     bei einer gleichartigen Zeitung aus der Hauptstadt der Fall gewesen wäre.
    Nach dem Urinieren wischte Sascha sich mit dem Bild des
     Ministers zwischen den Beinen trocken, stand auf, zog Unterhose und Gamaschen hoch
     und verließ das Klo.Eine Elster flatterte ungestüm über sie
     hinweg. Sascha packte sich eine Ladung Holz vom Stoß auf den Arm und trug sie, die
     Füße vorsichtig auf die im Schlamm versackenden Platten setzend, zum Haus. Dort
     angekommen, nahm sie die Stufen, stieß die Tür mit der rechten Hüfte auf und lief
     durch den Flur in die Stube, wo sie das Holz gegen den Ofen fallen ließ, drei
     dünnere Scheite aussuchte und sie zum Trocknen auf den Ofen legte. Sie streifte die
     Jacke ab, zog die Stiefel aus und die Filzschuhe wieder an, warf einen Blick auf die
     Kälber. Die lagen satt im Stroh und käuten mit ihren komischen kleinen Mäulern
     wieder. Sascha nahm das Glas mit dem Rest der geschleuderten Sahne, dazu einen
     großen Löffel und setzte sich auf die Fensterbank. Den Blick durch die wuchernden
     Geranien nach draußen gerichtet, löffelte sie das Glas aus.
    In dieser Zeit ereignete sich vor dem Fenster nichts.
    Sascha stellte das leere Glas auf die Tischkante, leckte
     den Löffel ab, steckte ihn hinein. Die Katze rieb sich schon wieder an ihrem Bein,
     Sascha stieß sie weg.
    »Du hast doch gerade erst was gekriegt!«
    Freundchen auf dem Hinterhof bellte. Das Brummen eines
     Motorrads war zu hören. Da kam Wanja gefahren, wie Sascha durch die Geranien sehen
     konnte.
    Sie erhob sich von der Bank und ging vor die Tür. Wanja
     hielt wie üblich am Gartenzaun. Er stellte den Motor ab und stieg von dem
     dreirädrigen Krad mit dem großen silbernen Verdeck und der Aufschrift HÜHNERWELT.
    »Bist ja schnell aufgebrochen!«, sagte Sascha lächelnd und
     fasste sich um die Ellbogen – eine feuchte Windböe ließ sie erschauern.
    »Wer keinen Pelz hat, muss ihn nicht erst bürsten«, sagte
     Wanja und ließ beim Lächeln seine kleinen rauchgelben Zähne sehen.
    Er öffnete die Klappe seines Verdecks und kam, breitbeinigdurch den schmatzenden Schlamm watend, auf Sascha zu.
    »Ich hatte gedacht, du fährst Montag.«
    »Nein. Muß nicht sein.«
    Er kam die Stufen herauf, stellte sich dicht neben Sascha
     und sah ihr, in einem fort lächelnd, in die Augen.
    »Da hab ich, scheint’s, Glück gehabt«, sagte sie, dem
     Blick ausweichend, öffnete die Tür und ließ ihn in den Flur ein.
    »Das kannst du laut sagen.«
    Geschäftig betrat Wanja die Vorratskammer, ergriff den
     verklebten Karton und trug ihn zum Motorrad. Sascha folgte ihm.
    »Erst dacht ich, es reicht nicht, aber dann wars genug, da
     war ich aber froh, mein Gott.«
    »Haben die Kälber alles weggeschlabbert oder wie?«
    »Das nicht, aber die Milch taugt nicht viel, ist halt so
     im Frühling.«
    »Ah ja, der Frühling, das kennt man.«
    Wanja schob den Karton ins Verdeck von seinem Krad und
     klappte die schmutzstarrende Tür zu. Wischte sich die Hände an der Wattejacke,
     schaute Sascha in die Augen.
    »Hättest du ein Gläschen Tee für mich?«, fragte er.
    Sascha lächelte verwundert.
    »Tee?«
    »Mutter hat den Ofen noch nicht angeheizt, und der
     Generator ist verreckt. Kein Diesel.«
    »Klar kriegst du einen Tee.«
    Sascha ging zur Treppe, hielt dabei flüchtig nach den
     Seiten Ausschau.
    Wanja kam hinterher. Betrat hinter Sascha die Stube,
     setzte die Mütze ab, bekreuzigte sich in Richtung der Ikonen, hängte die Mütze an
     den Haken, strich sich das spärliche, verfilzte Haar glatt. Während Sascha Wasser in
     den Siederfüllte, setzte er sich an den Tisch, legte die
     wettergebräunten Hände mit den großen buckligen Nägeln locker zur Faust geballt vor
     sich hin und blickte im Raum umher.
    »Vor ’ner Woche erst
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