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Der Zauberer von Schreckenstein

Der Zauberer von Schreckenstein

Titel: Der Zauberer von Schreckenstein
Autoren: Oliver Hassencamp
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hochzulegen.
    „Zur Muskelentspannung!“ wie sie sagten. Das sah so aus, dass ein Mann vier bis fünf Stühle benötigte. Manche nahmen einen sechsten für Teller und Becher.
    An diesem Nachmittag jedoch fand keine Muskelentspannung statt. Läufer, Werfer, Springer und Stoßer standen an einem Tischende zusammen und redeten einen seltsamen Text.
    „Das ist deine!“
    „Nein. Seine.“
    „Meine ist deine!“
    „Seine ist seine.“
    „Nein. Meine!“
    Irgend jemand hatte sich die Mühe gemacht, die Armbanduhren sämtlicher Athleten zu vertauschen — nur ihre. Und das am helllichten Tag. Vermutlich während des Trainings. Was sonst noch geschah, waren kleine, wenn auch lästige Fische, wie etwa vertauschte Schuhe. Einzeln, nicht paarweise, und quer durch die Burg. Oder, dass morgens nach dem Dauerlauf in einer Fensternische des Westflügels eine Suppenschüssel mit ungefähr fünfzig Zahnbürsten stand. Wie da die eigene herausfinden?
    Solche unerklärlichen Begebenheiten hatten zur Folge, dass als erstes der Geräuschpegel auf der Burg absank. Wachsamkeit macht still. Alle gingen leise. Redeten, auch wenn sie sich in Gruppen bewegten, kaum. Ruckartig wurden Türen geöffnet, und stumm schaute jemand herein oder heraus. Mehrmals am Tag zählten die Ritter ihre Siebensachen, prüften in Schränken und Schubladen, ob noch alles da oder etwas Fremdes dazugekommen war.
    Die zweite Folge der unerklärlichen Begebenheiten fiel vor allem den Lehrern auf: ein sprunghaftes Ansteigen des Gähnpegels im Unterricht. Die Aufmerksamkeit der Ritter hatte sich von den Schul- auf die Nachtstunden verlagert. Nicht, dass einer den andern bespitzelte! Jeder, der da um Mitternacht oder später im Schein der Sparbirne über den Flur schlurfte, hatte ein Ziel: den Duschraum oder die Toilette. Aber der Weg dorthin war auf einen anderen Antrieb zurückzuführen als sonst. Die Ritter taten das, was sie nicht sagten, nur dachten sie hielten nach den Mädchen Ausschau.
    Denn das war, auch unausgesprochen, allen klar: Um so gezielt vorzugehen, mussten die Rosenfelserinnen einen geheimen Stützpunkt auf der Burg haben, den sie Tag und Nacht besetzt hielten. Das Kabuff unter der kleinen Treppe war es nicht. Davon hatten sich einige Dutzend Ritter überzeugt. Unabhängig voneinander. Jeder wollte eben derjenige sein, der ihn fand, und weil das Zeit kostete, wurde außerhalb des Unterrichts entschieden zuwenig geschlafen.

    Die Folterkammer hatte sich in eine Art Scotland Yard verwandelt. Hier war die Zentrale, hier wurden Denkspiele veranstaltet, deren Spitzfindigkeit Kriminalern Beförderungen eingebracht hätten.
    „Eins gefällt mir bei der Sache nicht“, gestand Mücke, „dass Typ X — wenn wir den oder die Unbekannten mal so nennen wollen — sich an unsere Streichregeln hält. Er schadet niemand direkt, macht nichts kaputt und ist mehr oder weniger witzig.“
    „Das ist seine Tarnung!“ meinte Andi. „Es soll so aussehen, als ob es einer von uns war.“
    „Wenn es nicht ganz einfach Gewohnheit ist! Dann wäre es einer von uns“, gab Hans-Jürgen zu bedenken.
    „Auf jeden Fall weiß er, dass Ottokar bei auftretenden Schäden im Esssaal nachfragt. Und das vermeidet er!“ sagte der vorsichtige Dieter.
    „Dann war er von hier!“ folgerte Andi.
    „Wir können nur eins tun...“, begann der Schulkapitän. Da wusste Stephan auch schon, was er meinte. „...Typ X provozieren! Wir müssen ihn in Sicherheit wiegen, damit er Fehler macht.“
    „Oder entsprechend ärgern!“ Dampfwalze erhob sich von der Streckbank, trat auf die Leiste zwischen den Steinfliesen. Der Kasten an der Wand sprang auf, und Knochenmann Paule, einstmals Schreckgespenst für die hier zur Folter Verurteilten, schwang die Sense.
    „Ist ja gut, Paule! Wir wissen, dass du mindestens Typ Y bist“, alberte Klaus und schob den Knöchernen in den Kasten zurück.
    „Sag mal“, wandte sich Mücke an Ottokar. „Haben die Hühner das Boot eigentlich zurückgegeben?“
    „Mann!“ Dem Schulkapitän blieb der Mund offen stehen. „Daran sehen wir, dass wir schon ganz verdeppt sind mit unserem Typ X!“ rief Stephan. „Das sollen die mal schleunigst rüberfahren!“
    Endlich hatte der Ritterrat einen Anlass, sich zu freuen. Denn lustig war die gegenwärtige Lage nicht. Hans-Jürgen, der Dichter, hatte sie gleich zu Anfang der Versammlung in einen treffenden Vers gefasst:

    Harmlos sind, wenn ich vergleiche,
    unsre allertollsten Streiche,
    gegen dieses dumpfe
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