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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition)
Autoren: David Mitchell
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Erleichterung ist unbeschreiblich.
     
    Freitag, 15. November ~
     
    Bei Tagesanbruch lichteten wir die Anker, unbeschadet dessen, daß der Freitag bei Seeleuten als Unglückstag gilt. (Cpt. Molyneux knurrte: «Aberglaube, Heiligengedenktage u. anderer elender Firlefanz sind ein trefflicher Zeitvertreib für papistische Fischweiber, aber ich betreibe Handel, um Profit zu machen!») Henry u. ich wagten uns nicht an Deck, denn die Seeleute waren eifrig dabei, das Schiff aufzutakeln, u. zudem bläst von Süden her ein steifer Wind mit schwerem Seegang; das Schiff war schon letzte Nacht unruhig u. ist es heute nicht weniger. Wir benöthigten einen halben Tag, um Henrys Apotheke einzurichten. Außer den Instrumenten eines modernen Arztes besitzt mein Freund mehrere gelehrte Schwarten in englischer, lateinischer u. deutscher Sprache. Ein Koffer enthält eine mannigfaltige Auswahl an Pulvern in verstöpselten, auf griechisch beschrifteten Flaschen. Diese mischt er, um daraus verschiedene Pillen u. Salben herzustellen. Gegen Mittag schauten wir durch die Luke im Zwischendeck; die Chatham-Inseln waren nur noch Tintenkleckse am bleigrauen Horizont, aber das Schlingern u. Schlagen ist gefährlich für Leute, deren Seebeine sich eine Woche lang an Land erholt haben.
     
    Nachmittag ~
     
    Torgny, der Schwede, klopfte an die Thür meines Sarges. Überrascht u. von seiner geheimnißthuerischen Art in Neugier versetzt, bat ich ihn einzutreten. Er setzte sich auf eine der Trossen u. flüsterte, er überbringe einen Vorschlag von einer Gruppe Schiffskameraden. «Sagen Sie uns, wo die besten Adern liegen, die versteckten, die ihr Einheimischen für euch behaltet. Ich u. meine Kumpel werden die Drecksarbeit übernehmen. Sie können sich zurücklehnen, u. wir betheiligen Sie mit einem Zehntel.»
    Ich brauchte einen Augenblick, bis ich begriff, daß Torgny von den californischen Goldminen sprach. Es zeichnet sich also eine umfangreiche Flucht von Bord ab, sobald die Prophetess ihren Zielhafen erreicht hat, u. ich gebe zu, ich bin auf seiten der Seeleute! Indem ich dies zum Ausdrucke brachte, gelobte ich Torgny, daß ich keinerley Kenntniß über die Goldvorkommen hätte, denn ich sei seit zwölf Monaten nicht zu Hause gewesen, doch ich würde ihm gratis, u. zwar mit Freuden, eine Karte des sagenhaften Eldorados aufzeichnen. Torgny war einverstanden. Ich riß ein Blatt aus diesem Tagebuche u. begann damit, eine grobe Skizze von Sausalito, Benecia, Stanislaus, Sacramento u.s.w. anzufertigen, als sich eine feindselige Stimme erhob. «Stets der Alleswisser, nicht wahr, Mr.   Federschwanz?»
    Wir hatten nicht bemerkt, daß Boerhaave die Kajütstreppe hinabgestiegen war u. meine Thür geöffnet hatte! Torgny schrie bestürzt auf u. erklärte sich sogleich für schuldig. «Was, wenn ich fragen darf», polterte der Erste Officier, «was hast du mit unserem Passagiere zu schaffen, du Pestbeule von Stockholm?» Torgny hatte es die Sprache verschlagen, ich aber ließ mich nicht so leicht einschüchtern u. erklärte dem Rüpel, ich würde Torgny die «Sehenswürdigkeiten» meiner Stadt beschreiben, damit er seinen Landgang besser genießen könne.
    Boerhaave zog die Augenbrauen hoch. «Ach, Sie bewilligen jetzt Landgänge? Das sind neue Nachrichten für meine alten Ohren. Das Papier, bitte, Mr.   Ewing, wenn Sie erlauben.» Ich erlaubte keineswegs. Der Holländer hatte nicht das Recht, mein Geschenk für den Seemann zu beschlagnahmen. «Oh, ich bitte um Verzeihung, Mr.   Ewing. Torgny, nimm dein Geschenk in Empfang.» Ich hatte keine andere Wahl, als es dem niedergeschmetterten Schweden auszuhändigen. Mr.   Boerhaave stieß hervor: «Torgny, übergieb mir unverzüglich dein Geschenk, oder, bei den Hütern der Hölle, du wirst den Tag bedauern, an dem du aus der [meine Feder sträubt sich, seinen Fluch niederzuschreiben] deiner Mutter gekrochen bist.» Der Schwede fügte sich demüthig.
    «Äußerst lehrreich», bemerkte Boerhaave, während er eindringlich meine Karte studierte. «Der Capitain wird mit Freuden vernehmen, welche Mühen Sie auf die Bildung unserer räudigen Janmaate verwenden, Mr.   Ewing. Torgny, du schiebst vierundzwanzig Stunden Wache im Mastkorb, achtundvierzig, wenn du mit einer Stärkung erwischt wirst. Trink deine P—, wenn du Durst hast.»
    Torgny stahl sich davon, doch mit mir war der Erste Officier noch nicht fertig. «Haie durchziehen diese Gewässer, Mr.   Federschwanz. Verfolgen Schiffe, falls schmackhafte Happen
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