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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Autoren: Ilija Trojanow
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markiert von widerspenstigem Stolz und einem faden, grauen Schnurrbart. DerLahiya weiß, daß die anderen Schreiberlinge dieses Mal das Nachsehen haben, obwohl sie lässig ihren Dhoti nachbinden und sich gebärden, als hüte die Welt vor ihnen keine Geheimnisse. Dieser Mann hat gewiß einen Wunsch, den allein der alte Lahiya erfüllen kann.
    – Briefe an Behörden des Britischen Reiches sind meine Spezialität.
    – Es soll kein üblicher Brief …
    – Ebenso Briefe an die Ostindische Gesellschaft.
    – Auch an Offiziere?
    – Selbstverständlich.
    – Es soll kein förmlicher Brief werden.
    – Wir schreiben, was Sie wünschen. Aber gewisse Formen sollten gewahrt werden. Die Herrschaften bestehen auf Form. Der kleinste Fehler im Aufbau, das kleinste Versäumnis bei der Anrede, und der Brief ist keinen Anna wert.
    – Es muß viel erklärt werden. Ich habe Aufgaben übernommen, wie sie kein anderer …
    – Wir werden so ausführlich sein, wie die Angelegenheit gebietet.
    – Ich stand ihm viele Jahre zur Seite. Nicht nur hier in Baroda, ich bin mit ihm gezogen, als er versetzt wurde …
    – Verstehe, verstehe.
    – Ich habe ihm treu gedient.
    – Zweifellos.
    – Ohne mich wäre er verloren gewesen.
    – Natürlich.
    – Und wie hat er mich dafür entlohnt?
    – Undankbarkeit ist des Edlen Lohn.
    – Ich habe ihm das Leben gerettet!
    – Dürfte ich erfahren, an wen sich das Schreiben richtet?
    – An niemanden.
    – An niemanden? Das wäre unüblich.
    – An keine bestimmte Person.
    – Verstehe. Sie wollen den Brief mehrfach verwenden?
    – Nein. Oder doch, ja. Ich weiß nicht, wem ich den Brief geben soll. Alle Angrezi der Stadt haben ihn gekannt, das ist lange her, vielleicht zu lange, ich weiß nicht, einige sind bestimmt noch in Baroda.Heute morgen erst habe ich Leutnant Whistler gesehen. Er fuhr in einer Kutsche vorbei, eine dieser neuen Kutschen mit einem halben Dach aus Leder, ein schöner Wagen. Fast hätte er mich überfahren. Ich habe Leutnant Whistler gleich erkannt. Er war einige Male bei uns. Ich bin dem Wagen hinterhergerannt, er mußte bald halten. Ich habe den Kutscher gefragt.
    – Und?
    – Nein, sagte er, dies ist der Wagen von Oberst Whistler. Ich habe mich nicht getäuscht. Mein Herr hat sich über seinen Namen lustig gemacht.
    – Wir werden also an Oberst Whistler schreiben!
    Um seine Bereitschaft zu demonstrieren, öffnet der Lahiya das Tintenfäßchen, nimmt die Feder in die Hand, tupft, kratzt zur Probe, beugt sich um einige Zeilen nach vorne und verharrt. Der von dem Ankömmling aufgewirbelte Staub hat sich gesetzt. Aus dem peinigenden Licht heraus, in das der Lahiya nicht mehr blinzeln will, beginnt die zaghafte Stimme zu erzählen. Aus Vermutungen werden Andeutungen, aus Andeutungen werden Schemen, aus Schemen werden Personen, aus Unbekannten werden Menschen mit Namen, Eigenschaften und Gesichtern. Der Lahiya hält die Feder fest zwischen den Fingern, doch er versteht weder Ausgang noch Grund der Lebensgeschichte, die dieser Mann vor ihm ausbreitet. Es ergibt keinen Sinn, diese konfusen Umrisse aufzuschreiben.
    – Hören Sie. Das bringt so nichts. Einige Gedanken, einige Notizen, einige Skizzen zuerst, dann werde ich Vorschläge unterbreiten, wie wir den Brief gestalten können.
    – Aber … ich muß wissen, was wird es kosten?
    – Zahlen Sie zwei Rupien an, Naukaram-bhai. Wir werden später sehen, wieviel Aufwand es bedarf.
     
     
     
    2.
    AUS EINER SILBE
     
    Manchmal rülpste die pralle Stadt. Alles roch wie von Magensäften zersetzt. Am Straßenrand lag halbverdauter Schlaf, der bald zerfließen würde. Ein Löffel schnitt durch das Fleisch einer überreifen Papaya, Fußsohlen schwitzten auf dem Heimweg vom Markt Koriander aus. Er wußte nicht, was ihn eher anwiderte, die Meeresbrise, zur Ebbe faulig von Algen und gestrandeten Quallen, oder die Düfte des moslemischen Frühstücks, aus Innereien von Ziege, auf kleinen Öfen gebrutzelt. Der Pfad der Menschheit war gepflastert mit tückischen Verlockungen.
    – Sir, Sie zu stören ist nicht meine Art, ein hoher Herr wie Sie, das sehe ich, ich erkenne das sofort, denken Sie nicht … keineswegs, ich bin ein einfacher Mann, Sie zu täuschen ist nicht möglich, nein, ich will Ihre Zeit nicht rauben, nein, Sir, wenn Sie mir nur Ihr Gehör zu geben wünschen, ich werde Ihnen eine Hilfe sein können.
    Burton ging die Straße entlang, ein Flaneur, der die Häuser mit seinen aufmerksamen Blicken abtastete. Er fiel auf, dieser junge
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