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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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würde ihn vielleicht an andere
theatralische Gesten erinnern.
    »Ich habe dich verletzt.« Zu seinen Gunsten mußte man sagen, daß er
reumütig aussah.
    »Natürlich nicht«, log sie.
    »Du brauchst weder mich noch jemand anderen, um zu wissen, was du
wert bist.«
    »Nein, das brauche ich wirklich nicht.«
    »Du bist eine wundervolle Schriftstellerin, in welcher Gattung auch
immer.«
    Und er meinte das Kompliment ernst, tatsächlich hielt er es gar
nicht für ein Kompliment, sondern für die reine Wahrheit.
    Das Essen wurde auf Tellern gebracht, die so groß waren, daß man am
Tisch auseinanderrücken mußte. Linda versuchte, sich eine Spülmaschine
vorzustellen, in die die übergroßen Teller paßten. Wozu dienten sie überhaupt,
fragte sie sich, da sie das Essen darauf zu Zwergenportionen schrumpfen ließen:
indonesisches Huhn für sie, Lachs mit Grillstreifen für Thomas. Seizek, der mit
rotunterlaufenen Augen von der Bar zurückkam, stieß an den Tisch, so daß
Wasser- und Weingläser ins Wanken gerieten. Linda sah die verstohlenen und
offenen Blicke der anderen, die auf sie gerichtet waren. Welch vorrangigen
Anspruch hatte Linda Fallon auf Thomas Janes?
    Thomas nahm einen Bissen und tupfte sich die Lippen ab. Das Essen
interessierte ihn nicht, und auch darin erkannte sie, daß er sich nicht
geändert hatte: eine halbe Stunde später würde er sich nicht mehr erinnern, was
er gegessen hatte.
    »Bist du immer noch Katholikin?« fragte er und starrte auf den
V-förmigen Ausschnitt ihrer elfenbeinfarbenen Bluse. Es war eine Art Uniform,
die seidenen Blusen, die engen Röcke. Sie hatte drei davon, die in
Plastikhüllen in ihrem Koffer lagen. »Du trägst das Kreuz nicht.«
    »Schon seit Jahren nicht mehr«, sagte sie, ohne hinzuzufügen, seit mein Mann, der seine Bedeutung kannte, mich bat, es
abzunehmen . Sie hob ihr Glas und trank und machte sich erst zu spät
klar, daß der Wein ihre Zähne verfärben würde. »Man bleibt immer Katholik. Auch
wenn man nicht mehr daran glaubt.«
    »Damals wurde so viel Schaden angerichtet.« Sein Blick wandte sich
nach innen, möglicherweise wurde er an katholische Sünden erinnert. »Bist du im
Moment gläubig?«
    »Nur im Flugzeug«, antwortete sie schnell, und er lachte. Er
versuchte, wieder einen Bissen zu essen.
    »Ich ein bißchen«, gestand er, was sie verblüffte, und sein
Geständnis wirkte fast schüchtern. »Der Pfarrer meiner Mutter blieb nach
Billies Tod tagelang bei mir, obwohl ich seine Gegenwart kaum wahrnahm. Sie
sind sehr gut in Krisensituationen, nicht wahr? Wir spielen jetzt oft Tennis
miteinander, und ich gehe manchmal zur Kirche. Um seine Gefühle nicht zu
verletzen, denke ich.«
    Ihr Atem war angespannt und brannte in ihrer Brust. Diese Erwähnung
privaten Unglücks war zu früh gekommen. Erneut hörte sie die Worte: »Nach
Billies Tod …«
    Er fuhr fort: »Wahrscheinlich habe ich das Gefühl, Dankbarkeit
zeigen zu müssen. Ich dachte allerdings, sie müßten wissen, daß es am Ende
nicht hilft. Letztlich hilft gar nichts. Drogen vielleicht.«
    »Ja.«
    Er beugte sich vor. »Geht’s dir genauso? Ich denke an das, was wir
getan haben, und kann einfach nicht glauben, daß wir so grausam waren.«
    Sie konnte nicht antworten. Er hatte teurer bezahlen müssen, als es
irgend jemand verdiente. Und sie? Womit hatte sie bezahlt? Sie hatte Liebe und
Kinder gehabt, und ihre Kinder lebten. Entgegen allen Erwartungen war sie
belohnt worden. Was war gerecht dabei?
    Sie legte die Gabel hin, unfähig, so zu tun, als würde sie essen.
Auf eine solche Art von Unterhaltung war sie nicht vorbereitet. Sie faltete die
Finger unterm Kinn. Sie war nicht in der Lage, das Gespräch fortzusetzen, weil
sie nicht wußte, wieviel sie ertragen konnte. Sie würde sich von Thomas die
Stichworte geben lassen, keine Fragen stellen.
    Die riesigen Teller wurden durch kleinere ersetzt. Der Kellner
füllte ihre Gläser.
    »Hast du die Briefe noch?« fragte er.
    »Ich habe sie verloren«, sagte sie, erleichtert, auf sichereren
Boden zu wechseln. »Sie sind aus einem Karton herausgequollen. Das habe ich vom
Fenster im zweiten Stock eines Hauses beobachtet, in das mein Mann und ich
einzogen. Er trug den Karton. Ich hielt den Atem an, als er ihn hochhob. Es
hätte ihn verletzt, auch wenn …«
    (Obwohl ich dich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, wollte sie
hinzufügen.)
    »Keinem Mann gefällt der Gedanke, daß es einen anderen gegeben hat,
der wichtig war«, sagte Thomas nüchtern.
    »Und
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