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Der Weihnachtsfluch - Roman

Der Weihnachtsfluch - Roman

Titel: Der Weihnachtsfluch - Roman
Autoren: Heyne
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gesunder Menschenverstand wollte ihr sagen, wie dumm diese Annahme war, aber sie wusste, es würde nichts helfen. Was immer Susannah hatte sagen wollen, es musste mehr dahinterstecken als der Wind. Vielleicht war es Susannahs eigentliche Angst, die, wegen der sie Emily bei sich haben wollte.
    Beim Ausziehen dachte sie an Jack in London. Er müsste jetzt im Theater sein, vielleicht war gerade Pause, und er würde mit den gemeinsamen Freunden über das Stück lachen und den neuesten Tratsch austauschen. Oder war er gar nicht gegangen? Ohne sie würde es ihm sicher nicht so viel Vergnügen bereiten.
    Erstaunlicherweise schlief sie sehr schnell ein, wachte aber ganz plötzlich mit einem Ruck wieder auf. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Uhr es war, merkte nur, dass es noch stockfinster war. Sie konnte nichts erkennen. Draußen war der Sturm zu einem schrillen, ununterbrochenen Heulen angestiegen.
    Dann ging es los - ein greller Blitz, der das ganze Zimmer
trotz der zugezogenen Vorhänge hell erleuchtete. Der Donner folgte unmittelbar, krachte aus allen Richtungen.
    Einen Augenblick lang lag sie reglos da. Ein weiterer Blitz leuchtete auf und tauchte das Zimmer in gespenstisches, grelles Licht, fast ohne Schatten. Dann war es wieder dunkel, nur der grollende Donner und das schrille Pfeifen des Windes waren zu hören.
    Sie schlug die Bettdecke zurück, nahm einen Schal vom Stuhl und ging zum Fenster. Sie zog die Vorhänge auf, aber die Dunkelheit war undurchdringlich. Die Vorhänge hatten den dämonischen Lärm gedämpft. Lächerlich. Wäre sie im Bett geblieben und hätte die Decke wie ein Kind über beide Ohren gezogen, hätte sie genauso viel gesehen.
    Dann blitzte es wieder, und ihr offenbarte sich eine Welt in Aufruhr. Die paar Bäume im Garten wurden wild hin und her gepeitscht, und abgebrochene Äste flogen herum. Am Himmel zogen die Wolken ganz tief, näherten sich dem Boden, als wollten sie sich darauf festsetzen. Aber es war das Meer, das ihren Blick gefangen nahm. Die Brandung schäumte, leuchtete weiß, hob sich, als wollte sie ausbrechen und das Land in Besitz nehmen. Ihr Tosen übertönte sogar den Wind.
    Dann kehrte die Dunkelheit zurück und Emily war wie geblendet. Sie konnte nicht mal mehr die Fensterscheibe dicht vor ihr erkennen. Sie fror. Sie konnte nichts tun, nichts bewirken, stand wie angewurzelt da.
    Wieder blitzte es, gleichzeitig mit dem Donner. Der Himmel leuchtete in farblosem Licht, dann stachen die
Blitze wie Dolchstiche ins Meer. In der Bucht war ganz deutlich ein Schiff zu erkennen, das sich von Norden kommend durch die Wellen kämpfte. Es schlug ohnmächtig gegen die Brandung und versuchte, sich den Weg um die Landspitze nach Galway zu bahnen. Es war zum Scheitern verurteilt. Sie wusste es so sicher, als wäre es schon geschehen. Das Meer würde das Schiff verschlingen.
    Sie empfand es als nahezu unanständig, hier, in der Sicherheit des Hauses zu stehen, während da draußen Menschenleben in Gefahr waren. Aber sie konnte sich nicht einfach abwenden und wieder in ihr Bett gehen, selbst wenn das alles nur ein Traum gewesen und am Morgen vorbei wäre. Die Menschen würden sterben, in den Fluten ertrinken, während sie behaglich und sicher im Bett läge.
    Es hatte wahrscheinlich keinen Sinn, Susannah zu wecken, als wäre Emily ein Kind, das nicht alleine mit einem Alptraum zurechtkäme, und doch zögerte sie keinen Augenblick. Sie schlang den Schal enger um sich und ging mit einer Kerze in der Hand den Gang entlang. Sie klopfte an Susannahs Schlafzimmertür, entschlossen, auch dann einzutreten, wenn sie keine Antwort erhielt.
    Sie klopfte noch einmal. Diesmal heftiger, dringlicher. Sie hörte Susannahs Stimme und machte die Türe auf.
    Susannah richtete sich langsam auf. Ihr Gesicht war kreidebleich und das Haar zerzaust. Im gelben Kerzenlicht sah sie beinahe gesund, fast jung aus.
    »Hat dich der Sturm aufgeweckt?«, fragte sie leise.
»Mach dir keine Sorgen. Das Haus hat schon viele solcher Stürme überstanden.«
    »Es ist nicht wegen mir.« Emily machte die Türe hinter sich zu, als Zeichen dafür, dass sie nicht wieder hinauszugehen gedachte. »In der Bucht draußen ist ein Schiff in Seenot. Vermutlich können wir nichts unternehmen, aber ich wollte ganz sichergehen.« Es klang lächerlich. Natürlich konnte man nichts tun. Sie wollte nur nicht alleine den Ertrinkenden zuschauen.
    Der Schrecken, der Susannah im Gesicht stand, übertraf Emilys Vorstellungen bei weitem.
    »Susannah! Kennst
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