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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist
Autoren: Rose M J
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noch nervöser.
    „Sie haben ihnen die Dokumente nicht vorgelegt? Warum nicht?“ Taghinia saß am anderen Ende des Tisches. Er steckte sich die kubanische Zigarre in den Mund und saugte daran.
    „Ich habe ein paar Fragen, was die Authentizität der Schriftstücke betrifft“, erklärte Reza. „Und ich möchte den Anwälten des Museums nichts übergeben, das uns nachher unprofessionell dastehen lässt und dem Fall schadet.“
    Taghinia pflückte einen Tabakkrümel von seinen wulstigen Lippen, blinzelte mit seinen eidechsenbraunen Augen und begann, mit dem Fuß auf den Teppich zu klopfen. „Fragen?“ Klopf, klopf. „Solche Fragen zu diesem Zeitpunkt sind nicht erwünscht, Mr Reza.“ Klopf, klopf. „Unsere Regierung wird allmählich ungeduldig.“
    „Das kann schon sein. Doch es ist nicht in Ihrem Interesse, wenn ich überstürzt vorgehe.“
    Taghinia warf Samimi einen bösen Blick zu, als ob das Verhalten des Anwalts irgendwie Samimis Schuld wäre. Höfliche Umgangsformen und wirkliche Kooperation zwischen dem Iran und den USA gab es nur im kulturellen Bereich. Wenn diese Sache sich hinzog und zu einem internationalen Vorfall wurde, dann war bei den sowieso schon angespannten diplomatischen Beziehungen keinem Land gedient.
    „Wussten Sie davon?“, schnauzte Taghinia ihn an.
    „Es schert mich nicht, ob Samimi darüber informiert war oder nicht. Ich möchte wissen, was es an den Dokumenten auszusetzen gibt.“ Nassirs Stimme brachte die Aufmerksamkeit im Raum zurück zu der Lautsprecherbox, die mitten auf dem glänzenden Ebenholztisch stand.
    „Ich halte sie für Fälschungen“, erwiderte Reza.
    „Wie bitte?“ Taghinias Gesicht nahm eine rötliche Färbung an, was einen bevorstehenden Wutausbruch signalisierte, doch Samimi vermutete, dass sein Boss ein schlechtes Gewissen hatte.
    „Das ist unmöglich!“, rief Nassir in Teheran. „Reza, hören Sie? Das ist unmöglich!“
    So aufgebracht hatte Samimi den Kulturminister noch nie erlebt. Nassir hatte in Oxford Kunstgeschichte studiert und zwei Bücher über Islamische Kunst verfasst, die in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt worden waren. Jedes Exponat in den Museen des Irans sei ein Mitglied seiner Familie, hatte Nassir einmal gesagt, und es sei seine Aufgabe, sie alle für die Nachwelt zu bewahren.
    „Die Teilungsvereinbarung, in der es um den Verbleib der Stücke geht und die in der Ausgrabung in Susa gefunden wurden, ist auf das Jahr 1885 datiert“, sagte Reza.
    „Und?“, fragte Nassir.
    „Das Papier, auf dem die Vereinbarung festgehalten wurde, ist erst 1910 hergestellt worden.“
    „Das kann nicht sein!“
    „Ich fürchte doch. Ich habe es von zwei Spezialisten überprüfen lassen.“
    „Aber es gibt andere Quellen, die den Inhalt der Vereinbarung bestätigen!“, widersprach der Minister.
    „Keine der anderen Quellen bezieht sich direkt auf die Skulptur, Mr Nassir. In den letzten achtzehn Monaten sind wir davon ausgegangen, dass die Dokumente echt sind. Unsere gesamte Argumentation stützt sich auf sie. Das ist ein ernst zu nehmender Rückschlag.“
    Im Zentrum der iranischen Forderung stand eine etwa zweieinhalb Meter hohe Statue aus Gold und Elfenbein, die den griechischen Gott Hypnos darstellte, den Gott des Schlafes. Weder Samimi noch einer der anderen Männer, die an der Telefonkonferenz teilnahmen, hatten die Statue je gesehen. Die Kunsthistoriker waren sich einig, dass einige der schönsten chryselephantinen Skulpturen aus Delphi kamen. Die Stadt war Mitte des vierten Jahrhunderts vor Christus von den Phokern geplündert worden. Die Phoker hatten einige der Schätze verkauft, um ihre Truppen bezahlen zu können. Andere Stücke hatten sie eingeschmolzen und das Gold zu Münzen gemacht. Allgemein wurde angenommen, dass ein persischer Satrap oder König aus Susa den Hypnos erstand, als die Phoker in den Osten zogen, und die Statue einige Zeit später vergraben wurde. Vielleicht war sie während eines Überfalls versteckt worden, damit sie nicht wieder Plünderern in die Hände fiel, die es auf das viele Gold, das Elfenbein und die wertvollen Steine abgesehen hatten, mit denen die Skulptur verziert war. Oder sie war wieder gestohlen worden, und der Dieb hatte sie versteckt. Genau wusste man es nicht, aber die Statue hatte bis in die 1880er-Jahre quasi unversehrt in ihrem Versteck in der Erde überdauert.
    „Was ist mit dem Vertrag?“, wollte Nassir wissen.
    Samimi hatte Reza ebenfalls die Abschrift eines Vertragsübergeben, der auf
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