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Der verwaiste Thron 03 - Rache

Der verwaiste Thron 03 - Rache

Titel: Der verwaiste Thron 03 - Rache
Autoren: Claudia Kern
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Feuers. Ich übergab mich. Der Gardist schlug mir gegen den Kopf. Ich sah zu den anderen, die wie ich am Boden hockten, das Gesicht verschmiert von Dreck und Blut. Ein paar begannen mit den Händen im Schmutz zu wühlen und sich den Sand in den Mund zu stopfen. Die Gardisten schlugen nur die, die das nicht taten, also begann ich ebenfalls zu essen. Nach jeder Handvoll Dreck wollte ich mich übergeben, aber ich tat es nicht. Der Gardist ließ meine Haare los. Ich hielt den Kopf gesenkt. Um mich herum stöhnten und rülpsten Menschen. Gelegentlich schrie jemand. Das Plätschern des Wassers war wie ein Rhythmus für diese Melodie, das Rauschen des Großen Flusses wie ein Chor. Hätte ich damals geahnt, dass ich erst als erwachsener Mann wieder ins Tageslicht treten würde, ich hätte mich wohl mit dem Gesicht in eine Pfütze gelegt und auf den Tod gehofft.
    Am Anfang sprachen wir noch miteinander, wir, die Neuen. In einigen Seitengängen der Höhle gab es Strohlager, die nur von uns und den Gardisten benutzt wurden. Diejenigen, die schon länger hier waren, schliefen einfach dort, wo sie saßen, und aßen weiter, wenn sie erwachten. Wir wussten nicht, was mit ihnen war, aber wir schworen uns, nicht so zu werden wie sie.
    Niemandem gelang es. Niemandem außer mir.
    Jeden Abend brachten uns die Gardisten Näpfe mit zerkochtem Gemüse und eingeweichtem Brot. Obwohl mein Mund geschwollen und entzündet war, zwang ich mich dazu, alles aufzuessen. Ich stellte mir vor, wie der Brei den Dreck in meinem Magen umschloss und hinausspülte, so wie das Wasser der Höhle es mit unserem Blut und unseren Zähnen tat.
    Am Morgen – wir nannten die Zeit, zu der die Gardisten uns weckten, Morgen, auch wenn sich das Licht in der Höhle nie veränderte – wurden wir zu unseren Plätzen geführt. Bei uns Neuen achteten die Wachen genau darauf, wie viel Dreck wir aßen. Je tiefer das Loch vor einem beim Ende der Schicht war, desto wahrscheinlicher war es, dass man ohne Prügel zum Schlafplatz gehen durfte. Ich bat die anderen, mir bei meinen Rationen zu helfen. Während sie aßen, beobachtete ich die Gardisten, merkte mir, wer zu welcher Zeit kam und wie lange sie in der Höhle blieben. Das Auf und Ab der Wellen half mir, die Zeit zu messen. Ich wusste, dass ich fliehen musste. Ich sah es an den Gesichtern der anderen, sah, wie das Licht in ihren Augen immer dunkler, hörte, wie die Sätze, die sie sagten, immer kürzer wurden. Der Sand schien sie immer mehr auszufüllen, so wie ein Stundenglas. Sie selbst verschwanden daraus, Stück für Stück, Korn für Korn.
    Ich spürte, wie der Sand auch mich veränderte. Etwas befand sich darin, das einen Teil von mir sättigte, der nie zuvor hungrig gewesen war. Es war ein angenehmes Gefühl. Ich hatte Angst davor.
    Mein letzter Zahn führte mich zu der Harpune. Schon einige Tage hatte er locker gesessen, und ich war froh, als ich ihn endlich zusammen mit einigen kleinen Steinen ausspuckte. Er fiel vor mir ins Wasser. Ich griff hinein, um ihn wieder herauszuholen und so wie die anderen Zähne neben meinem Schlafplatz zu vergraben. Dabei berührten meine Finger etwas Glattes und Hartes. Ich zog daran, stieß es dann aber ebenso schnell wieder zurück in den Dreck.
    Es war eine Klinge. Rau, schartig und verrostet, aber so lang wie mein Unterarm. Ich sah mich um. Es waren nur wenige Gardisten in der Höhle. Keiner von ihnen beachtete mich. Vorsichtig zog ich wieder an der Klinge. Sie löste sich aus dem Dreck. Ich hatte geglaubt, es sei ein Schwert, aber es war eine Harpune. Mein Herz klopfte. Da war sie, die Gelegenheit, auf die ich gehofft und die ich gefürchtet hatte. Ich schob die Harpune unter meine Beine, spürte das Metall auf meiner Haut. Sie hatte wohl nicht sehr lange im Wasser gelegen, denn unter dem Rost war sie fest.
    Ich wartete und aß den schwarzen Sand. Die Höhle wirkte auf einmal kleiner als zuvor, die Menschen darin entfernter, so wie das nun mal ist, wenn man weiß, dass man einen Ort bald verlassen wird. Ich war bereits ein Fremder.
    Ich klemmte mir die Harpune unter den Arm, als der Gardist mit meinem Napf auftauchte. Die anderen gingen längst nicht mehr zu ihren Schlafplätzen, und ich hatte mir angewöhnt, bei ihnen zu bleiben, um nicht aufzufallen. Doch an diesem Abend stand ich auf. Der Gardist sah mir nach, als ich zu meinem Schlafplatz ging. Ich spürte seine Blicke. Es waren noch zwei weitere Gardisten in der Höhle, ein dritter musste sich irgendwo in den Gängen
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