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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort
Autoren: Fred Vargas
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von Menschen, die gleich Bohrmaschinen schwarze Tunnel unter dem Meer graben, von deren Existenz man zuvor nicht einmal etwas ahnte.«
    »Wer wurde verschlungen?«, fragte Estalère, plötzlich hellwach.
    »Der Onkel von einem Typen auf dem Packeis«, wiederholte Adamsberg. »Das war vor einem Jahrhundert. Es blieb von ihm nicht mehr als seine Brille und ein Schnürsenkel übrig. Der Neffe liebte seinen Onkel sehr. Von da an geriet alles ins Wanken. Er tötete den Bären.«
    »Sehr vernünftig«, sagte Estalère.
    »Aber er nahm das Fell mit nach Genf und schenkte es seiner Tante. Die es in ihrem Salon ausstellte. Danglard, der Kollege Stock hat Ihnen am Bahnhof einen Umschlag übergeben. Seinen Zwischenbericht, nehme ich an.«
    »Radstock«, korrigierte Danglard in düsterem Ton, den Blick noch immer zur Wagendecke gerichtet, das Gewicht des Meeres überwachend.
    »Interessant?«
    »Uninteressant für uns. Es sind seine Füße, soll er sie behalten.«
    Estalère zwirbelte eine Serviette zwischen seinen Fingern, er war sehr konzentriert, hielt den Kopf gesenkt.
    »Also wollte der Neffe«, unterbrach er, »der Witwe sozusagen ein Andenken des Onkels mitbringen?«
    Adamsberg bejahte und wandte sich wieder Danglard zu.
    »Sagen Sie mir trotzdem was zu dem Bericht.«
    »Wann kommen wir heraus aus diesem Tunnel?«
    »In sechzehn Minuten. Was hat Stock gefunden, Danglard?«
    »Aber logischerweise«, begann Estalère zögernd, »wenn der Onkel in dem Bären war und der Neffe ...«
    Er unterbrach sich, senkte erneut nachdenklich den Kopf und kratzte sich seine blonden Haare. Danglard seufzte, sei es wegen der sechzehn Minuten, sei es wegen dieser ekelhaften Füße am Friedhofstor von Highgate, die er gern hinter sich gelassen hätte. Oder auch, weil Estalère, der ebenso beschränkt wie neugierig war, als einziger Mensch in der Brigade bei Adamsberg nicht das Nützliche vom Unnützen unterscheiden konnte. Unfähig, auch nur eine seiner Bemerkungen mal nicht zu beachten. Für den jungen Mann ergab jedes Wort des Kommissars zwangsläufig einen Sinn, den suchte er. Und für Danglard, dessen biegsamer Verstand schnellen Schrittes von Idee zu Idee eilte, bedeutete Estalère eine ärgerliche und kontinuierliche Zeitverschwendung.
    »Wenn wir vorgestern nicht mit Radstock mitgegangen wären«, begann Danglard wieder, »wenn wir nicht auf diesen Spinner Clyde-Fox gestoßen wären, wenn Radstock uns nicht mit zum Friedhof geschleppt hätte, dann wüssten wir gar nichts von diesen niederträchtigen Füßen und würden sie ihrem Schicksal überlassen. Ihre Bestimmung ist britisch, und sie bleibt es.«
    »Es ist nicht verboten, sich dafür zu interessieren«, sagte Adamsberg. »Wenn sie einem schon mal über den Weg laufen.«
    Ganz offensichtlich, dachte Adamsberg, war es Danglard nicht gelungen, die Frau in London unter so beruhigenden Umständen zu verlassen, wie er sich gewünscht hätte. Folglich gewann seine Angst wieder die Oberhand und schlich sich aufs Neue in die Furchen seiner Seele. Adamsberg stellte sich Danglards Verstand wie einen Block aus feinem Kalkstein vor, in den der Regen der Fragen unzählige Mulden gegraben hatte, und darin lagerten seine ungelösten Probleme. Jeden Tag waren drei oder vier dieser Mulden gleichzeitig aktiv, im Augenblick die Tunnelpassage, die Frau in London, die Füße von Highgate. So wie Adamsberg ihm erklärt hatte, war die Energie, die Danglard aufwandte, um die Fragen zu lösen und die Mulden zu reinigen, vollkommen vergeblich. Denn sobald eine der Mulden saniert war, wurde der Platz frei, um neue entstehen zu lassen, die sich mit weiteren bohrenden Fragen füllten. Und indem er sich unaufhörlich damit beschäftigte, verhinderte er das allmähliche Versanden und natürliche Auffüllen der Gruben.
    »Kein Grund zur Sorge, sie wird von sich hören lassen«, versicherte Adamsberg.
    »Wer?«
    »Abstract.«
    »Logisch betrachtet«, warf Estalère ein, der immer noch seinen Kurs verfolgte, »hätte der Neffe den Bären am Leben lassen und seiner Tante dessen Exkremente mitbringen müssen. Denn der Onkel war im Bauch des Bären und nicht in seinem Fell.«
    »Genau«, sagte Adamsberg befriedigt. »Alles hängt von der Vorstellung ab, die der Neffe sich vom Onkel und vom Bären macht.«
    »Und von seiner Tante«, fügte Danglard hinzu, beruhigt durch Adamsbergs Gewissheit hinsichtlich Abstracts und der Nachricht, die sie von sich geben würde. »Einer Tante, von der man nicht weiß, ob sie lieber
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