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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang
Autoren: Joachim C. Fest , Bernd Eichinger
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der hinzugezogenen Experten rechtzeitig auf, daß der Mann gestopfte Socken trug, was, wie jedem einleuchtete, denn doch Zweifel an der Identität der Leiche hätte wecken müssen. Wiederum etwas später streuten sie Gerüchte über einen neuerlichen Fund, den sie aufgrund der bisherigen Mißgeschicke jedoch nicht offiziell als Leiche Hitlers deklarierten: »Der Tote lag«, hieß es, »auf einer Decke, die noch rauchte. Das Gesicht war verkohlt, der Schädel von einer Kugel durchlöchert, doch die gräßlich entstellten Züge gehörten unverkennbar Hitler an.«
      Die Vorführung immer neuer Hitlerkopien brach jedoch Ende Mai unvermittelt ab, als Stalin sich der Sache annahm. Beim Besuch einer amerikanischen Regierungsdelegation mit Averell Harriman, Harry Hopkins und Charles Bohlen im Kreml sprach er von seiner Vermutung, daß Hitler keineswegs tot, sondern geflohen sei und sich zusammen mit Bormann und General Krebs an unbekanntem Ort versteckt halte. Als Stalin hier und da noch die Auffassung nachschob, daß der deutsche Führer mit einem Unterseeboot nach Japan entkommen sei, oder, bei anderer Gelegenheit, Argentinien erwähnte und wiederum einige Zeit darauf vom Spanien Francos sprach, wurde mal diese, mal jene Version von beflissenen Austrägern als abschließende, wenn auch nicht ganz unstrittige Ansicht ausgegeben.
      Die tief im Wesen des Sowjetregimes verwurzelte Neigung zum Glauben an Verschwörungen, Hintertreppen und dunkle Machenschaften fand in der Geschichte vom rätselhaften Verschwinden Hitlers ein reiches Betätigungsfeld. Alsbald stellten sich auch die Beweise dazu ein: daß der Diktator, wurde das eine Mal behauptet, jedem seiner Getreuen einen Eid abgenommen habe, der Welt gegenüber als persönliche Wahrnehmung anzugeben, wie er nach seinem Tod zusammen mit Eva Braun auf einen Scheiterhaufen gelegt und verbrannt worden sei; oder daß er, wie ein andermal verlautete, seiner Umgebung befohlen habe, jede Spur über seinen Verbleib zu verwischen; daß in der Morgendämmerung des 30. April ein Kleinflugzeug mit drei Männern und einer Frau an Bord von der Ost-West-Achse in Richtung Hamburg gestartet sei, wozu sich dann die aus angeblich geheimdienstlichen Quellen stammende Information fügte, daß unmittelbar vor der Eroberung der Hansestadt durch die britischen Streitkräfte ein geheimnisvolles U-Boot mit unbekanntem Ziel abgelegt habe. Und so noch vieles.
      Bald griff auch die westliche Sensationspresse das ebenso verlockende wie gewinnversprechende Thema auf und wußte bis in die neunziger Jahre immer neue Einzelheiten zu berichten: daß Hitler, als Frau verkleidet, einige Zeit nach seinem vermeintlichen Ende in Dublin gesehen worden sei; daß er, wie die Londoner »Times« mitteilte, seinen Abgang aus der Welt als aufsehenerregenden Theatercoup geplant und die Absicht gehabt habe, ein mit Sprengstoff gefülltes Flugzeug zu besteigen und sich über der Ostsee in die Luft zu sprengen. Anderswo kam der journalistische Erfindergeist noch einmal auf Stalins Verdrehungen zurück und enthüllte, Hitler habe seine letzten Lebensjahre unter dem reichlich einfältig erdachten Tarnnamen »Adilupus« im »Präsidentenpalast des Faschisten Franco« verbracht und sei dort am 1. November 1947 einem »Herzversagen« erlegen.
      Die Wahrheit oder was belegbar war, geriet über alledem zunehmend in Vergessenheit. Ende April 1946 war am Gartenausgang des Führerbunkers eine Kommission der Roten Armee erschienen, um nach den durchsichtigen, allmählich auch die eigene Seite verwirrenden Farcen die unzweideutigen Tatbestände festzustellen. In ihrer Begleitung befanden sich einige Überlebende aus dem Bunker, die während der Eroberung der Stadt aufgegriffen worden waren. Filmkameras wurden aufgebaut und die Szene von der Verbrennung Adolf Hitlers und seiner Lebensgefährtin noch einmal in den Einzelheiten nachgestellt. Doch das Material verschwand, ebenso wie die in endlosen Verhören von Günsche, Linge, Rattenhuber und anderen erlangten Auskünfte, ungenutzt in irgendwelchen
    geheimen Archiven.
      Auch die angeblichen Überreste Hitlers, Eva Brauns und einiger weiterer Bunkerinsassen waren nach Stalins Machtwort unbrauchbar geworden. Infolgedessen hatte man sie Ende Mai
    1945 zunächst am Dienstsitz der Abteilung Gegenaufklärung im Raum Berlin-Buch verscharrt. Mit der Einheit zogen die Holzkisten, in denen sie verwahrt wurden, zunächst nach Finow, von dort nach Rathenow und schließlich nach
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