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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition)
Autoren: Amor Ben Hamida
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beiseitelegen könnte. Aus der absolut lächerlichen Idee zeichneten sich die Umrisse eines möglichen, wenn auch sehr unwahrscheinlichen Plans ab, dann – als ich länger darüber nachdachte und meine Erinnerungen an meinen Onkel und Souad auffrischte – ein möglicherweise gangbarer Weg. Und nach einer Stunde sah ich nur diesen Weg als Möglichkeit, endlich für mich und meine Familie zu sorgen.

    Ich dachte also nach. Ich würde ihn am nächsten Abend anrufen, er konnte fast nicht Nein sagen. Ich bekäme sofort ein Visum, würde in Paris irgendwas arbeiten, meine Schuld bei meinem Onkel abzahlen und glücklich werden. Das mit dem Militär ließe sich auch mit Geld lösen.
    Aber die fünftausend Dinars? Wie komme ich bloß zu so viel Geld, fragte ich mich. Ich schaute meine zwei Kamelstuten an, sie musterten mich wie einen Verräter. Ich würde sie selbstverständlich später wieder zurückkaufen, klar, aber einen Tausender könnten sie zusammen schon bringen. Blieben viertausend Dinars. Fünfhundert hatte ich als eiserne Reserve beiseitegelegt. Wenn ich alles verkaufen würde, was ich besaß, bis zum letzten Hemd, und nur das behielte, was ich am Leib hatte, blieben immer noch dreitausend Dinars Differenz. Das war ein Jahreslohn. Wer würde mir einen Jahreslohn vorstrecken ohne zu wissen, ob und wann ich wieder auftauchen würde?

    Und ich kannte niemanden, der so viel Geld haben könnte. Dabei löste sich das Problem von alleine. Kennt ihr das auch, Freunde? Habt ihr auch schon verzweifelt nach Lösungen gesucht und die naheliegendste nicht gesehen? Das ist, weil man oft das Problem am falschen Ende anpackt. Jedenfalls klapperte ich alle Freunde ab, ihr erinnert euch doch, drei von euch waren bereit, mir je hundert Dinars zu leihen, einer war sogar bereit, fünfhundert vorzustrecken, er hätte sie selber geborgt. Wie ihr wisst, war das nicht mehr nötig. Ich stellte mir an jenem Abend alles vor: Wie ich meine Cousine Souad heiraten und mit ihr nach Paris abfliegen würde. Das erste Mal im Leben einen Flughafen von innen sehen, das erste Mal im Leben fliegen und Europa sehen, dieses sagenumwobene, sagenhafte Europa.
    Ich erinnerte mich an den letzten Besuch meiner Cousine Souad. Sie ist ja eigentlich nicht richtig meine Cousine, denn unsere Eltern sind nicht verwandt. Ihr Vater und meine Mutter wuchsen als Waisen in derselben Familie auf, sie wurden aber nach ein paar Jahren gemeinsamer Kindheit getrennt und meine Mutter kam zu einer anderen Verwandten. Souad war vor einem halben Jahr hier gewesen. Wieso war ich damals nicht auf die Idee gekommen? Man muss eben Professor sein und eine richtige Methode zur Berechnung der Wahrscheinlichkeiten haben, damit man auf so was kommt. Als Souad da war, da gingen viele junge Männer zu ihrem Vater zu Besuch, denn sie war ohne ihre Mutter gekommen. Sie wollte aber nicht in unserem kleinen, ärmlichen Dorf wohnen. Sie kam morgens und nachmittags für jeweils eine halbe Stunde, präsentierte sich und ging wieder ins Hotel. Sie benahm sich arrogant und extravagant. Sie hielt ständig ein Tuch vor ihre Nase und ihren Mund, als wenn sie den Staub und den Geruch des Landes nicht mehr ertragen könnte. Na ja, sie war auch im sagenhaften Paris zur Welt gekommen und dort aufgewachsen. Sie war, so glaubte ich, älter als ich, aber das machte nichts. Ich liebte sie ja auch nicht. Sie mich bestimmt noch weniger. Aber ein Deal ist ein Deal. Und ihr Vater war ein gläubiger Moslem geblieben, er würde sie nur einem anständigen Mann anvertrauen, auch wenn der Mann noch ein Junge war.

    Oh, ich malte mir in jener ersten Nacht nach dem Treffen mit dem Professor alles genau aus: Ich sah mich in Paris! Die guten Kleider, die Parfums, die glatte Rasur mit einem richtigen Rasierapparat, der Haarschnitt und das Essen. Ich sah mich vor allem essen in jener Nacht, als ich noch mal alles plante. Die feinsten Sachen, Bestimmt keine Konserven, sondern frisches Lammfleisch direkt vom Feuer, frisches Brot, das ich nicht mehr in gezuckertem Wasser aufweichen müsste. Und natürlich – bitte entschuldige, Samia – natürlich sah ich mich im Schlafzimmer mit meiner Frau, ich würde sie lieben bis zur Erschöpfung, ich, der noch nie geliebt hatte …
    Ich rief am nächsten Abend meinen Onkel an und erklärte ihm langsam und deutlich meinen Plan. Das war die erste Investition, denn ich redete bestimmt zwanzig Minuten. Und er hörte mir geduldig zu. Am Ende meiner Ausführungen, die so detailliert waren,
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