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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition)
Autoren: Amor Ben Hamida
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niemals Hunger gelitten. Wir hatten jeden Abend und jeden Morgen gelacht. Ich war so sicher und zuversichtlich gewesen in der Nähe meines Vaters. Er war die starke Palme und ich ein kleiner Ast. Und nun musste dieser kleine dünne Ast den Baum spielen.
    Immer, wenn ich am Montagmorgen wieder ging, hatte ich Tränen in den Augen, denn die hoffnungsvollen und erwartenden Blicke meiner Mutter und Schwestern konnte ich lange nicht ertragen. Ich ließ sie erst hinter mir, wenn die ersten Hotelketten sichtbar wurden. Dann veränderte sich mein Leben und ich wurde zum Businessman. Ich setzte meine Sonnenbrille auf, pfiff vor mich hin und spielte den überglücklichen, unbelasteten, freien Mann …
    Meine Tätigkeit mit den Dromedaren fing ich im März an, dann folgte der Rest des Frühlings und ein großartiger, lukrativer Sommer. Im Oktober ging es dann zurück und dann, oh, dann kam der Winter, die härtesten Monate: wenige Touristen, kaum jemand, der sich auf einem Kamelrücken eine Erkältung holen wollte. Ich lebte sehr schlicht. Ich aß täglich ‚Summita’. Wisst ihr überhaupt noch, was das ist? Hat überhaupt jemand von euch je diesen Brei mit Olivenöl gegessen? Manchmal konnte ich einige Datteln dazu nehmen, gelegentlich getrocknete Feigenschnitze. Und wenn ich vor lauter Hunger und Mangel kaum mehr stehen konnte, erst dann habe ich mir einen Teller Couscous gegönnt. Von Fleisch war lange keine Rede. Ich sage euch das nur, um zu zeigen, dass ich am tiefsten Punkt meines Lebens angelangt war. Aber an Verzweiflung, Freunde, war nicht zu denken. Ich dachte täglich an meinen Vater, wie er wohl in einer solch ärmlichen Situation handeln würde. Und ich wusste, er würde einfach weitermachen!

    Mein Vater, wisst ihr, war ein starker Mann. Im Sterbebett gab er mir noch Anweisungen, wie ich die Kamele zu behandeln hätte. Alle sagten ihm: ‚Hadj, gib doch dein Leben in Gottes Hände!’ Und er antwortete: ‚Wie kann ich mein Leben in Gottes Hand geben, wo er es doch schon seit meinem ersten Atemzug in seinen Händen hält? Ein Mann muss bis zu seinem letzten Atemzug sein Leben beherrschen. So lange ein Mann denken kann, muss er über sich und seine Zukunft nachdenken. Und wenn die Zukunft nur noch Minuten dauert.’
    Ich wusste also, dass jener Winter kein großes Geld mehr bringen würde. Und ich wusste, dass es zu spät war, irgendeine andere Tätigkeit anzufangen in der Umgebung von Sousse. Denn viele Hotels hatten bereits ihren Betrieb auf Winter eingestellt und viele der Mitarbeiter in die Zwangsferien geschickt. Was nun, junger Ahmed? Deine Mutter und deine Schwestern müssen auch im Winter überleben.

    Ich will euch diesen Teil ersparen, denn außer mir wissen nur zwei unter euch, was bittere Armut heißt. Nur so viel zu jenem ersten Winter in der Touristenbranche: Ich war von Dezember bis Februar fast ohne Einkommen. Gelegentlich fand ich für ein paar Tage Arbeit auf einer Baustelle, manchmal brauchte ein Nachbar Hilfe beim Streichen seines Hauses oder bei einer kleinen Renovierung. Mit meinen siebzehn Jahren glaubte ich, die ersten grauen Haare zu bekommen. Während Altersgenossen zur Schule gingen und sich danach in den Cafés amüsierten, nahm ich täglich und nächtlich jede erdenkliche Arbeit an, um meine Mutter und meine Schwestern zu ernähren.
    Im März dann fing alles wieder von vorne an. Die ersten Touristen kamen, die ersten Kamelritte, das erste Geld. Aber etwas hatte sich geändert. Ich wusste, dass auch dieser Frühling und der darauf folgende Sommer irgendwann vorbei sein würden und ich wieder auf der Straße landen würde. Also wollte ich vorsorgen.
    Aber wie? Das Militär konnte mich in Kürze einziehen. Das wäre die Katastrophe gewesen. Meine Mutter beruhigte mich zwar immer, indem sie mir die Geschichte meines Cousins Abdellatif erzählte. Das Militär hatte ihn in einer Razzia erwischt und einziehen wollen, aber er kam drei Tage später wieder heraus, weil er eine Mutter und einen kleineren Bruder zu versorgen hatte, sein Vater war auch früh verstorben. So lange ich also arbeitete, konnte mir das Militär nichts anhaben. Aber wie lange konnte ich noch mit diesen Kamelen etwas verdienen? Inzwischen hatten einige junge Männer meinen Erfolg gesehen und sich ebenfalls Kamele und Pferde zugelegt. Die Strände waren inzwischen voll von Kamelrittanbietern. Viele von ihnen hatten gar keine Kamele, sie lauerten nur den Touristen auf und gaben ihnen eine Adresse und Telefonnummer. Es wurde
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