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Der Tote vom Strand - Roman

Der Tote vom Strand - Roman

Titel: Der Tote vom Strand - Roman
Autoren: H kan Nesser
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gleich nach dem Gespräch in der Küche angerufen. War sofort mit der Tür ins Haus gefallen, und nach intensiven Überredungsversuchen hatte sie es geschafft. Als sie schon fast die Flinte ins Korn geworfen hatte. Tante Vanja hatte erzählt. Zwar nicht viel, aber ein wenig ... hatte den Vorhang zur Vergangenheit einen Spaltbreit geöffnet.
    Er hat einen Menschen umgebracht, dein Vater. Ein junges Mädchen... genauer gesagt konnte es nie bewiesen werden, ob er es wirklich getan hat.
    Pause.
    Aber natürlich muss er es gewesen sein.
    Pause.
    Und das konnte er dann nicht ertragen. Er ist zusammengebrochen, aber es ist besser, das alles nicht wieder aufzuwühlen, ich habe ohnehin schon zu viel gesagt.
    Wen?
     
    Wen hatte er umgebracht? Und warum?
    Aber Tante Vanja hatte nicht mehr verraten wollen. Jetzt war die Vergangenheit wieder da, wo sie hingehörte, es ging sie nichts an, und sie hatte ohnehin schon zu viel gesagt. Der Mann saß sicher noch in diesem Heim bei Lejnice, das glaubte sie zumindest. Er war damals sofort dort eingewiesen worden. Aber es sei besser, das zu vergessen, wie gesagt. Zu vergessen und weiterzugehen.
    Das wusste Mikaela schon. Dass er in dieser Anstalt saß — das hatte immerhin auch ihre Mutter verraten.
    Die Frage ist nur, warum, dachte Mikaela, als sie ihrer Tante zum Schluss dankte und den Hörer auf die Gabel legte. Warum hatte sie gerade an dieser Stelle die Grenze gezogen, ihre Mutter? Wenn sie an diese Dinge doch nicht rühren wollte, dann wäre es doch sicher besser gewesen, ihrer Tochter diesen Hinweis vorzuenthalten?
    Oder lieber gar nichts zu sagen?

    Das musste sein, hatte sie erklärt. Ich bin es dir schuldig, dir den Namen deines Vaters und seinen Aufenthaltsort zu nennen. Aber ich wünsche... ich wünsche aus ganzem Herzen, dass du nicht zu ihm gehst.
    Aus ganzem Herzen?, dachte Mikaela Lijphart. Klang fast ein wenig pathetisch. Und unbegreiflich. Gestern wie heute. So unbegreiflich, wie ihre Mutter sich bisweilen verhalten konnte. Ja, eigentlich war sie wohl weniger überrascht, als sie es vielleicht sein sollte. Als andere Achtzehnjährige es in dieser Situation gewesen wären.
    Ich bin daran gewöhnt, auf Treibsand zu leben, dachte sie. In jeder Hinsicht. Und mit allem zu rechnen.
    Vielleicht hatte sie der Frau im Zug deshalb nicht alles erzählen mögen? Weil sie sich ihrer verrückten Familie schämte, genau, wie sie gesagt hatte.
    Einen Menschen umgebracht? Himmel, nein, das war dann doch zu viel.
    Sie erreichte die Brücke. Überquerte sie und bog dann nach rechts ab. Der überwucherte Bachlauf war wie ausgedörrt, nur ein lehmiger Streifen tief unten zeigte, dass hier normalerweise das Wasser des Baches Muur entlangströmte. Zumindest unter anderen klimatischen Bedingungen. Ein an einem Pfosten angebrachtes großes Schild erzählte das alles und teilte außerdem mit, dass das Sidonisstift jetzt nur noch zweihundert Meter entfernt war.
    Zweihundert Meter, dachte Mikaela Lijphart und trank einen Schluck Wasser. Nach achtzehn Jahren — oder eigentlich sechzehn — bin ich noch zweihundert Meter von meinem Vater entfernt.
     
    Die Gebäude waren von blassem Gelb und lagen in einem kleinen Parkgelände, das von einer niedrigen Mauer und einigen Laubbäumen umgeben war. Ulmen oder Ahorn, sie wusste es nicht genau. Vielleicht von beidem, die hatten doch ziemlich viel Ähnlichkeit miteinander. Es gab nur drei Häuser, ein größeres
mit vier Etagen und zwei mit jeweils zwei Stockwerken. Ein kleiner asphaltierter Parkplatz mit vielleicht einem Dutzend Autos. Ein schwarzer Hund war an einem Schuppen angebunden und kläffte. Nirgendwo war auch nur eine Menschenseele zu sehen. Sie folgte den Schildern an der Treppe ins Hauptgebäude und blieb vor einer Art Rezeption stehen. Zwei ältere Frauen kehrten ihr den Rücken zu und waren in ein Gespräch vertieft. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Aufmerksamkeit erregen konnte.
    Sie brachte ihren Wunsch vor und wurde gebeten, noch einen Moment Platz zu nehmen.
    Nach einigen Minuten tauchte aus einem Gang ein Mann mit Bart und Brille auf und fragte, ob sie Mikaela Lijphart sei. Das stimme, sagte sie. Er reichte ihr die Hand und hieß sie willkommen. Stellte sich als Frank vor und machte eine Bemerkung über das schöne Wetter. Danach winkte er sie hinter sich her. Er führte sie durch zwei grüne Gänge und zwei blaue Treppen nach oben. Sie blieb zwei Schritte hinter ihm und spürte, dass sie dringend zur Toilette musste. Ihre Blase
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