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Der Thron der roten Königin

Der Thron der roten Königin

Titel: Der Thron der roten Königin
Autoren: Philippa Gregory
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vor uns Engländern zu retten. Sie war überzeugt, sie könnte von keinem Schwert berührt werden. Sie hielt sie für einen Engel.»
    «Und wie war sie?»
    «Ein Mädchen, bloß ein Mädchen wie Ihr. Klein, mit strahlenden Augen, von sich überzeugt.»
    Mir schwoll das Herz. «Wie ich?»
    «Ganz wie Ihr.»
    «Haben ihr die Leute auch dauernd gesagt, was sie zu tun habe? Haben sie ihr gesagt, sie wisse nichts?»
    Er schüttelte den Kopf. «Nein, nein, sie war die Heeresführerin. Sie ist ihrer eigenen Vision von sich selbst gefolgt. Sie hat eine Armee von viertausend Mann befehligt und uns angegriffen, als wir vor Orléans lagerten. Unsere Lords konnten ihre Männer nicht bewegen, gegen sie anzutreten; ihr bloßer Anblick hat uns in Angst und Schrecken versetzt. Niemand hat das Schwert gegen sie erhoben. Wir haben alle gedacht, sie sei unschlagbar. Als wir uns nach Jargeau wandten, jagte sie uns hinterher, sie hat angegriffen, sie hat immer angegriffen. Wir hatten alle entsetzliche Angst vor ihr. Wir haben geschworen, sie sei eine Hexe.»
    «Eine Hexe oder von Engeln geleitet?», verlangte ich von ihm zu wissen.
    Er lächelte. «Ich habe sie in Paris gesehen. Es war nichts Böses an ihr. Sie hat ausgesehen, als hielte Gott persönlich sie auf diesem großen Pferd. Mein Lord hat sie eine Blume des Rittertums genannt. Wirklich.»
    «Schön?», flüsterte ich. Ich selber bin kein schönes Mädchen, und darüber ist meine Mutter sehr enttäuscht. Ich nicht, denn ich stehe über den Eitelkeiten der Welt. Er schüttelte den Kopf und sagte genau das, was ich hören wollte. «Nein, nicht hübsch, kein hübsches kleines Ding, auch nicht mädchenhaft; aber sie hatte ein gewisses Leuchten.»
    Ich nickte. In diesem Moment, so ging es mir, verstand ich … alles. «Kämpft sie noch immer?»
    «Gott sei Euch gnädig, Euch kleiner Närrin. Nein, sie ist tot. Tot – seit bald zwanzig Jahren.»
    «Tot?»
    «Nach Paris hat sich ihr Blatt gewendet; wir haben sie vor den Mauern der Stadt zurückgeworfen, aber es war knapp – denkt nur! Fast hätte sie Paris eingenommen! Am Ende hat ein burgundischer Soldat sie mitten im Kampf von ihrem weißen Pferd gezogen», teilte mir der Bettler knapp mit. «Und an uns verkauft. Wir haben sie hingerichtet, als Ketzerin verbrannt.»
    Ich war entsetzt. «Aber du hast gesagt, sie wurde von Engeln geleitet!»
    «Sie ist ihren Stimmen bis in den Tod gefolgt», versetzte er nur. «Man hat sie untersucht. Sie war tatsächlich Jungfrau. Sie war tatsächlich Jungfrau Johanna. Und sie hat die Wahrheit gesehen, nämlich dass wir in Frankreich besiegt werden würden. Ich glaube, jetzt sind wir verloren. Sie hat aus ihrem König einen Mann gemacht und aus ihren Soldaten eine Armee. Sie war kein gewöhnliches Mädchen. Ich glaube nicht, dass ich je wieder so eine zu sehen kriege. Sie hat längst gebrannt, bevor wir sie auf den Scheiterhaufen geschafft haben. Der Heilige Geist hat lichterloh in ihr gebrannt.»
    Ich holte Luft. «Ich bin wie sie», flüsterte ich ihm zu.
    Er sah in mein verzücktes Gesicht und lachte. «Nein, das sind doch nur alte Geschichten», sagte er. «Nichts für ein Mädchen wie Euch. Sie ist tot, und bald wird sie vergessen sein. Sie haben ihre Asche in alle Winde verstreut, damit niemand ihr einen Schrein bauen kann.»
    «Aber Gott hat zu ihr gesprochen, zu einem Mädchen», flüsterte ich. «Er hat nicht zum König gesprochen und auch nicht zu einem Jungen. Er hat zu einem Mädchen gesprochen.»
    Der alte Soldat nickte. «Ich bezweifele nicht, dass sie fest daran geglaubt hat», sagte er. «Ich bezweifele auch nicht, dass sie die Stimmen der Engel gehört hat. Es muss so gewesen sein. Sonst hätte sie nicht tun können, was sie getan hat.»
    Von der Vordertür war der schrille Ruf meiner Gouvernante zu hören, und während ich einen Augenblick lauschte, nahm der Soldat seinen Beutel und warf ihn über die Schulter.
    «Aber ist es denn wahr?», verlangte ich ernsthaft zu wissen, als er sich mit langen, ausholenden Schritten über den Stallhof zum Tor zur Straße in Bewegung setzte.
    «Soldatenmärchen», sagte er gleichgültig. «Vergesst sie und vergesst Johanna, und weiß Gott, an mich wird sich auch niemand erinnern.»
    Ich ließ ihn ziehen, doch weder vergaß ich Johanna, noch werde ich sie je vergessen. Ich rufe ihren Namen an, damit sie mich leitet, und schließe die Augen und versuche, sie zu sehen. Und seit jenem Tag wird jedem Soldaten, der an die Tür von Bletsoe klopft und um
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