Der Teufelsfürst
Grund gab, sich vor der jungen Frau zu fürchten, konnte er noch nicht den Mut finden, ihr unter die Augen zu treten. Es war fast, als ob nicht er sie besaß, sondern sie ihn.
Immer wieder fragte er sich, ob sie tatsächlich so tief in ihn hineingeblickt hatte, wie es den Anschein gehabt hatte. Vielleicht hatte er sich das alles auch nur eingebildet, und sie war nichts weiter als ein Mädchen mit seltsamen Augen. Er ließ sich mit gekreuzten Beinen auf seinem Bett nieder und spielte geistesabwesend mit der Woiwodenkette an seinem Hals. Welcher Teufel war nur in ihn gefahren und hatte ihn zu diesem unüberlegten Schritt gezwungen? Und wie sollte er vorgehen?
Jetzt, wo geschehen war, was nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte, ohne dass er sich – auch vor sich selbst – lächerlich machte? Sollte er sich ihr aufzwingen und sie zu seiner Geliebten machen? Oder sollte er sie umgarnen, ihr den Hof machen und warten, bis sie sich ihm freiwillig hingab? Begehrte er sie überhaupt körperlich? Seine Männlichkeit beantwortete diese Frage schneller als sein Verstand. Er ließ sich stöhnend nach hinten fallen und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Eigentlich hatte er Wichtigeres zu tun, als um die Liebe einer Frau zu buhlen, die er noch nicht einmal kannte.
Allerdings schienen die meisten Walachen auf seiner Seite zu sein; die wenigen Gegner, die er ausfindig gemacht hatte, schmorten in seinen Kerkern. Und wenn Wladislaw in der Schlacht gegen die Osmanen fiel, würden sich auch die Großbojaren dazu überreden lassen, ihn offiziell zum Woiwoden zu wählen. Falls nicht, konnte er sich der Unterstützung des Sultans gewiss sein. Warum sich also Sorgen machen, wenn er offenbar leichtes Spiel mit seinen Landsleuten hatte? Eine Weile grübelte er noch hin und her und versuchte, Ausflüchte vor sich selbst zu finden. Doch dann rappelte er sich wieder auf, rückte seine Kleider zurecht und verließ seine Gemächer.
Kapitel 69
Tirgoviste in der Walachei, Fürstenpalast, Ende Oktober 1448
Zwei Wochen waren vergangen, seitdem der Herzog Zehra verraten hatte. Inzwischen war der erste Schnee gefallen. Sie lehnte am Rahmen eines der zwar hohen, aber schmalen Fenster ihres riesigen Gemaches, das eine Königin mit Neid erfüllt hätte. Drei Zofen sorgten dafür, dass es ihr an nichts mangelte.
Ihre Kleider waren von solcher Pracht, dass sie eher in ein Märchen gepasst hätten. Auf einem kleinen Tisch stand ein Krug mit heißem Wein, der ein betörendes Aroma verströmte.
Das Feuer im Kamin prasselte seit dem Morgengrauen, sodass es trotz der winterlichen Temperaturen wohlig warm im Zimmer war. Man hatte ihr sogar Bücher gebracht. Wie jeden Tag würde der Fürst sie pünktlich zur dritten Stunde des Nachmittages aufsuchen. Und wieder würde er versuchen, ihr das Gefühl zu geben, dass sie nicht seine Gefangene war. Manchmal, wenn es nicht zu kalt war, bat er sie, ihn in den Hof zu begleiten. Dort zeigte er ihr die Teile des Palastes, die er verändern wollte. »Hier werde ich einen Turm errichten lassen«, hatte er gesagt, als sie vor einigen Tagen den nördlichsten Abschnitt der Ummauerung erreicht hatten. »Damit die Wachen das Schließen der Stadttore bei Sonnenuntergang besser verkünden können.« Sein Gesicht hatte einen Moment lang geleuchtet, ehe es wieder ernst geworden war.
Sie seufzte, wandte dem Fenster den Rücken und versicherte sich in dem Wandspiegel, dass ihr Haar richtig geflochten war. Es war seltsam – seit die Sorge um Utz sie nicht mehr quälte, ertappte sie sich an manchen Tagen dabei, dass sie den Besuchen des Woiwoden beinahe mit Vorfreude entgegenblickte. Ihr Bruder war vor einigen Tagen in Tirgoviste eingetroffen, und der Fürst hatte versprochen, dass sie ihn bald sehen durfte. Der Fürst, dachte sie. Der Mann, den sie eigentlich aus tiefstem Herzen verabscheuen sollte, weil er ihr die Freiheit geraubt hatte. Sie strich sich mit dem Finger über die Augenbrauen. Die Freiheit! Sie lachte freudlos. War sie denn bei den Zigeunern nicht auch eine Gefangene gewesen?
Ihre Miene verfinsterte sich, als sie an Herzog Michel dachte.
»Der Teufel soll dich holen!«, murmelte sie und zupfte sich eine Feder vom Ärmel. Was war sie nur für eine Gans? War es bei Michel nicht das Gleiche gewesen? Was war nur los mit ihr, dass sie sich zu diesen Männern hingezogen fühlte? Sie schlang die Arme um den Oberkörper und bearbeitete ihre Unterlippe mit den Zähnen. Dann sank sie auf einen gepolsterten Stuhl
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