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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir
Autoren: Tanja Langer
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verstand. Ihr Vater sprach mit ihr, voll Mitgefühl. » Wenn du was brauchst, musst du es nur sagen.«
    » Ich will gleich wieder nach Berlin«, sagte Helen.
    Sie hatte versprochen anzurufen, wenn sie gut gelandet wäre. Sie rief an, aus der Fußgängerzone, aus einer Telefonzelle, auf dem Weg vom Bahnhof zum Dom. Sie konnte kaum sprechen; ihre Knie waren weich. Sie hatte Angst vor den Menschen, vor der Trauerfeier, vor allem.
    Das Haus. Die wenigen Gäste. Die Frau des Bundeskanzlers, zierlich, höflich. Der Schreibtisch. Die Stimmen. Das Kind, verwirrt. Pia gab Helen ein Wolltuch mit Blumen, in gedeckten Farben, aber eben Farben. » Bitte, nimm das, wenn das Jessica sieht, es ist doch furchtbar für das Kind, das ganze Schwarz.«
    Als mein Vater starb, waren meine Töchter sehr klein. Ich nahm sie mit nach Bad Wildbad, ich ging mit ihnen in die Leichenhalle, in der er aufgebahrt lag. Es war Winter. Wir nehmen Abschied von eurem Opa, meinem Papa, sagte ich. Ehrfürchtig standen sie am Ende des mit weißem Stoff ausgeschlagenen Sargs und betrachteten den Mann im dunklen Anzug und das Gesicht, das friedlich aussah und nur ein bisschen bläulich und gelb, und nahmen Abschied von ihrem Opa. Ich wollte, dass sie sicher wussten, dass er tot war. Und wie ein toter Mensch aussah, dass er dem Lebenden noch ähnlich war, dass der Tod nicht verhinderte, dass wir ihn erkannten.
    Leidenschaften müssen vergehen …
    Ich wünschte, ich hätte dich gesehen, Julius, zusammengekauert und gekrümmt auf dem Rücksitz deines Wagens, in dem du so viele Stunden deines Lebens verbracht hast. Von dem aus du mich angerufen hast. Ich wünschte, ich wäre wie Pia sofort dort hingelaufen und hätte dich angefasst, gesehen und gefühlt, dass du es wirklich bist. Hätte deinen verkohlten Leib umarmt, ganz fest. Ich hätte mich in den Zug setzen und hinfahren können, damals fuhr der Zug von Berlin nach Frankfurt acht Stunden, doch ich war mir sicher, am späten Nachmittag, bis ich dort wäre, hätte die Polizei dich mitgenommen und ich hätte da gestanden, auf der fremden Straße, allein.
    Pia wollte nicht, dass man dich ansieht. Sie hat den Sarg über deiner verkohlten Leiche schließen lassen. Ich weiß nicht, was sie von deinem Gesicht noch gesehen hat. » Sei froh«, sagte sie, » sei froh, behalt ihn in Erinnerung, wie du ihn gekannt hast.«
    Pia, zart, schmal, schwankend. Vor dem Haus. Vom Gartentor her kommend, von der Trauerfeier im Dom, in Schwarz, mit dunklem Haar. Ich war schon drin, in ihrem Haus, als sie kam, jemand hatte mich im Auto mitgenommen. Ich stand an ihrer Tür und sah ihr entgegen. Gestützt von zwei Frauen, kam sie auf das Haus zu. » Ich muss mich fassen«, sagte sie kaum hörbar, » das Kind.«
    Ich fühlte mich in diesem Augenblick selbst wie ein Kind.
    » Geh hoch, Helen, oben ist Julius’ Schreibtisch, schau dich um, du darfst überall hin, sieh dir das ganze Haus an. Sag, wenn du etwas brauchst. In einer dreiviertel Stunde fahren wir.«
    Pia stellte mich vor. Der Frau des Kanzlers, in Tränen, viel kleiner als ich es mir vom Fernsehen her vorgestellt hatte. Später dem Kanzler, das komische Gegenstück zu seiner kleinen Frau, ein Riese. Verenas Eltern. Sonst war niemand da.
    Wir fuhren zum Friedhof. In der Nähe warteten Journalisten. Die Journalisten waren gebeten worden, die Familie in Ruhe zu lassen, sie hielten sich daran. Die Beerdigung fand in kleinem Kreis statt, vielleicht fünfzig oder sechzig Personen bewegten sich still hinter den Friedhofsmauern von Bad K., an einem grauen verregneten Tag im Dezember 1989, vier Wochen nach dem Mauerfall, als das Land in einem Freudentaumel lag, voll Ungewissheit, doch voll Glück, Sehnsucht und Verheißung. Ungläubig dachte ich an alles, was mich am Tag zuvor noch gefreut und erregt hatte. Ich fühlte nichts. Der Eindruck der Zerstörung war übermächtig. Ich war siebenundzwanzig Jahre alt, du neunundfünfzig –
    Ich warf drei Hände voll Erde in dein Grab. Dann die Rosen.
    Ich machte ein paar Schritte fort vom Grab. Ein Mann kam auf mich zu, gab mir Anteil nehmend die Hand: » Sie sind sicher die Tochter aus erster Ehe?«
    » Nein«, sagte ich und sah ihn überrascht an. » Ich bin – eine Freundin.«
    » Oh«, sagte der Mann und wich leicht zurück. » Entschuldigen Sie bitte. Trotzdem, mein Beileid.«
    War deine Tochter aus erster Ehe nicht da? Ich sah mich um. Ich wusste nicht, wie sie aussah. Eine ältere und eine junge Frau standen, in einigem Abstand von
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