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Der Stern von Yucatan

Der Stern von Yucatan

Titel: Der Stern von Yucatan
Autoren: Debbie Macomber
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Murphy kannte ihn wie niemand sonst.
    “Ja”, flüsterte Letty.
    Beide hatten recht.
    Thomas Dancy entließ seine letzte Klasse, blieb aber noch im Klassenzimmer, wie er das oft tat in letzter Zeit. Er saß an seinem Schreibtisch und studierte den Stundenplan, obwohl er mit den Gedanken nicht bei der Sache war.
    Sein amerikanischer Freund war tot, und Lorraine schien ihm die Schuld daran zu geben. Das war der einzige Grund, den er sich vorstellen konnte, warum sie seine Briefe völlig ignorierte.
    Vor fast sechs Monaten hatte er einen hysterischen Anruf von ihr bekommen wegen Jack. Er hatte sofort die Schule verlassen und war zu ihr nach Mexico City gefahren. Zusammen mit Raine hatte er an Jacks Bett gewacht, während der mit dem Tode rang. Ungezählte Stunden hatte er mit dem Krankenhauspersonal gesprochen, um möglichst viele Informationen über Jacks Gesundheitszustand zu bekommen. Von einer Schwester hatte er den Ernst der Lage erfahren. Und auf seine Art hatte er versucht, Raine auf das Schlimmste vorzubereiten.
    Als das Unvermeidliche eintrat, hatte seine Tochter geweint, wie er noch nie einen Menschen hatte weinen sehen. In ihrem Kummer war sie ihm in die Arme gefallen. Ihre Trauer hatte ihm das Herz gebrochen, und ihm war wieder einmal bewusst geworden, wie sehr er seine Tochter liebte. Ihr Schmerz war noch schlimmer für ihn als der Verlust seines Freundes.
    Er hatte sie aus dem Krankenhaus geführt, mit dem Arzt gesprochen und mit seiner Hilfe die Beerdigung arrangiert. Er hatte durch Jacks Zimmertür lediglich einen Blick auf den Körper geworfen. Mehr ertrug er nicht. Später hatte er versucht, Lorraine mit nach Hause zu nehmen. Sie hatte höflich, aber entschieden abgelehnt, was ihn irritierte. Und genau wie ihre Mutter zuvor, beantwortete sie jetzt seine Briefe nicht mehr.
    Ihr Verhalten war grausamer als Ginnys. Er hatte die Entscheidung seiner Frau akzeptiert, sie jedoch gebeten, Raine mit einundzwanzig die Wahrheit zu sagen, damit sie ihr eigenes Urteil fällen konnte.
    Raine hatte das jetzt, verspätet offenbar, getan und lehnte ihn und seine Liebe ab. Das war schmerzlich.
    “Thomas?”
    Azucena stand in der Tür des Klassenraumes. Sie war allein, was selten vorkam, und er war sofort besorgt.
    “Ist alles in Ordnung? Was ist mit den Kindern?”
    “Es geht ihnen gut”, versicherte sie und kam näher. “Sie sind bei Consuela.” Ihrer Cousine.
    Azucenas Schönheit war unaufdringlich, und auf den ersten Blick würden nur wenige sie schön finden. Ihm war es nicht anders ergangen. Jahrelang hatte ihr Körper seiner Flucht aus der selbst gemachten Hölle gedient. Wenn er mit ihr im Bett gewesen war, hatte er sich oft vorgestellt, mit Ginny zusammen zu sein.
    Doch das hatte sich gewandelt. Azucena hatte ihm eine zweite Chance im Leben gegeben und ihm drei wunderbare Söhne geboren. Azucena war seine Frau und mit Abstand die schönste, die er kannte. Sein Herz quoll über bei ihrem Anblick. Er wollte aufstehen, doch sie hielt ihn zurück.
    “Bleib”, sagte sie.
    “Warum?”
    “Du musst einen Brief für mich schreiben.”
    “Du brauchst mich nicht, um einen Brief zu schreiben.”
    “In Englisch.”
    Seine Neugier war geweckt. “An wen?”
    Azucena lächelte sanft. “An deine Tochter.”
    Das erstaunte ihn. Er wollte schon sagen, das habe wenig Sinn. Er hatte Raine sein Herz ausgeschüttet und sie angefleht, zu antworten. Doch sie hatte es nicht getan, ohne Erklärung und offensichtlich ohne Bedauern.
    Dennoch nahm er ein Blatt Papier und einen Kuli zur Hand, während Azucena einen gefalteten Zettel aus der Tasche zog.
    Thomas las ihn und runzelte die Stirn. Er las ihn ein zweites Mal und legte ihn langsam beiseite. Er liebte Azucena, doch sie war eine schlichte Frau mit wenig Bildung und Kenntnis der Welt. “Ich glaube nicht …”
    “Wenn du mich liebst, tust du es.”
    Es war ungewöhnlich, dass sie ihn um etwas bat, und er kam der Bitte nach. Außerdem, was hatte er schon zu verlieren? Lorraine hatte seine Briefe nicht beantwortet, und er bezweifelte, dass sie auf Azucenas von Herzen kommende Botschaft reagierte.
    21. November
    Liebe Lorraine Dancy
,
    wenn ich meine Arme um Sie legen könnte, um Sie zu trösten, würde ich es tun. Ihre Trauer muss sehr groß sein. Sie haben Ihre Mutter und Jack verloren und weigern sich nun, die Briefe Ihres Vaters zu beantworten. Ich kann nur vermuten, dass Sie enttäuscht sind von dem Mann, zu dem Ihr Vater geworden ist. Als seine Frau habe ich das
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