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Der Steppenwolf

Der Steppenwolf

Titel: Der Steppenwolf
Autoren: Hermann Hesse
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sich eine Abrechnung darüber lohnt.«
    »Aber sie können doch beide nichts dafür!«
    »Natürlich nicht. Sie können auch nichts dafür, daß Adam den Apfel gefressen hat, und müssen es doch büßen.«
    »Das ist aber furchtbar.«
    »Gewiß, das Leben ist immer furchtbar. Wir können nichts dafür und sind doch verantwortlich. Man wird geboren, und schon ist man schuldig. Sie müssen einen merkwürdigen Religionsunterricht genossen haben, wenn Sie das nicht wußten.«
    Mir war recht elend geworden. Ich sah mich selbst, einen todmüden Pilger, durch die Wüste des Jenseits ziehen, beladen mit den vielen entbehrlichen Büchern, die ich geschrieben, mit all den Aufsätzen, mit allen den Feuilletons, gefolgt vom Heer der Setzer, die daran hatten arbeiten, vom Heer der Leser, die das alles hatten schlucken müssen. Mein Gott! Und Adam und der Apfel und die ganze übrige Erbsünde war außerdem noch da. Alles dieses also war abzubüßen, endloses Fegefeuer, und erst dann würde die Frage entstehen, ob hinter alledem auch nochetwas Persönliches, etwas Eigenes vorhanden, oder ob all mein Tun und seine Folgen bloß leerer Schaum auf dem Meere, bloß sinnloses Spiel im Fluß des Geschehens war!
    Mozart begann laut zu lachen, als er mein langes Gesicht sah. Vor Lachen überschlug er sich in der Luft und schlug Triller mit den Beinen. Dazu schrie er mich an: »He, mein Junge, beißt dich die Zunge, zwickt dich die Lunge? Denkst an deine Leser, die Äser, die armen Gefräßer, und an deine Setzer, die Ketzer, die verfluchten Hetzer, die Säbelwetzer? Das ist ja zum Lachen, du Drachen, zum lauten Lachen, zum Verkrachen, zum In-die-Hosen-Machen! O du gläubiges Herze, mit deiner Druckerschwärze, mit deinem Seelenschmerze, ich stifte dir eine Kerze, nur so zum Scherze. Geschnickelt, geschnakelt, spektakelt, schabernackelt, mit dem Schwanz gewackelt, nicht lang gefackelt. Gott befohlen, der Teufel wird dich holen, verhauen und versohlen für dein Schreiben und Kohlen, hast ja alles zusammengestohlen.«
    Dies hingegen war mir zu stark, der Zorn ließ mir keine Zeit mehr, der Wehmut nachzuhängen. Ich packte Mozart am Zopf, er flog davon, der Zopf wurde länger und länger, wie ein Kometenschweif, an dessen Ende ich hing und durch die Welt gewirbelt wurde. Teufel, war es kalt in dieser Welt! Diese Unsterblichen vertrugen eine scheußlich dünne Eisluft. Aber sie machte vergnügt, diese eisige Luft, das spürte ich noch in dem kurzen Augenblick, eh mir die Sinne vergingen. Es durchdrang mich eine bitterscharfe, stahlblanke, eisige Heiterkeit, eine Lust, ebenso hell, wild und außerirdisch zu lachen, wie Mozart es getan hatte. Aber da war Atem und Bewußtsein zu Ende.
    Verwirrt und zerschlagen fand ich mich wieder, das weiße Licht des Korridors spiegelte im blanken Boden. Ich war nicht bei den Unsterblichen, noch nicht. Ich war noch immer im Diesseits der Rätsel, der Leiden, der Steppenwölfe, der qualvollen Verwicklungen. Kein guter Ort, kein erträglicher Aufenthalt. Dem mußte ein Ende gemacht werden.
    Im großen Wandspiegel stand Harry mir gegenüber. Er sah nicht gut aus, er sah nicht viel anders aus, als er in jener Nacht nach dem Professorenbesuch und dem Ball im Schwarzen Adler ausgesehen hatte. Aber das lag weit zurück, Jahre, Jahrhunderte;Harry war älter geworden, er hatte tanzen gelernt, hatte magische Theater besucht, er hatte Mozart lachen gehört, er hatte vor Tänzen, vor Frauen, vor Messern keine Angst mehr. Auch der mäßig Begabte, wenn er ein paar Jahrhunderte durchrannt hat, wird reif. Lange sah ich Harry im Spiegel an: noch kannte ich ihn wohl, noch immer glich er ein ganz klein wenig dem Harry von fünfzehn Jahren, der an einem Märzsonntag in den Felsen der Rosa begegnet war und seinen Konfirmandenhut vor ihr gezogen hatte. Und doch war er seither einige hundert Jährchen älter geworden, hatte Musik und Philosophie getrieben und sattgekriegt, hatte im »Stahlhelm« Elsässer gesoffen und mit biederen Gelehrten über Krishna disputiert, hatte Erika und Maria geliebt, war Herminens Freund geworden, hatte Automobile abgeschossen und mit der glatten Chinesin geschlafen, hatte Goethe und Mozart angetroffen und verschiedene Löcher in das Netz der Zeit und der Scheinwirklichkeit gerissen, in dem er noch gefangen war. Hatte er auch seine hübschen Schachfiguren wieder verloren, so hatte er doch ein braves Messer in der Tasche. Vorwärts, alter Harry, alter müder Kerl!
    Pfui Teufel, wie schmeckte das Leben
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