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Der Sonntagsmann

Der Sonntagsmann

Titel: Der Sonntagsmann
Autoren: Kanger
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Sekunden später gab er Elina die Nummer. »Wie hieß er gleich noch?«, fragte sie.
    »Nils Ivar Blind.«
    Elina wählte. Ein Mann, dessen Stimme bedeutend jünger klang als die von Blind, kam an den Apparat.
    »Martinssons Autos und Reparaturen, Martinsson.«
    »Hier ist Elina Wiik von der Polizei in Västerås. Ich würde gerne mit Nils Ivar Blind sprechen.«
    »Tut mir Leid«, sagte der Mann. »Mein Großvater ist am 1. Oktober gestorben.«
    »Mein Beileid«, sagte Elina, tat sich aber hauptsächlich selbst leid. »Dürfte ich Ihnen eine Frage stellen?«, fuhr sie fort, nachdem sie sich etwas gesammelt hatte. »Nils Ivar Blind hat in einem Mordfall vor fünfundzwanzig Jahren eine Zeugenaussage gemacht. Haben Sie davon gehört?«
    »Doch, doch, davon sprach er oft. Er sagte immer, Rutus’ Hund hätte das Mädchen geholt.«
    »Rutus’ Hund?«
    »Der Hund des Teufels. Das ist der alte Name der Samen für den Wolf.«
    »Er hat mit großer Bestimmtheit behauptet, am 1. Oktober 1979 das Mordopfer noch lebend gesehen zu haben. Wissen Sie vielleicht, warum er sich bei dem Datum so sicher sein konnte?«
    »Nein. Hat er das auch ganz sicher gesagt?«
    »Ja.«
    »Dann war das auch so. Er hatte eine besondere Gabe, die Tage ganz genau auseinanderzuhalten.«
    »Jetzt zeigt es sich jedoch, dass das Datum vielleicht nicht gestimmt hat. Könnte es eine Erklärung dafür geben?«
    »Diese Frage kann ich kaum beantworten. Hat er wirklich den 1. Oktober gemeint?«
    »Ja. Oder vielleicht nicht genau so. Er sagte: ›Am ersten Tag des zehnten Monats.‹«
    »Ach so. Das ist etwas anderes.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Die Samen haben ihren eigenen Kalender. Inzwischen ist er in Vergessenheit geraten, aber Nils Ivar hielt noch an der alten Zeitrechnung fest. Ein samischer Monat entspricht einem Mondumlauf, das heißt neunundzwanzig Tagen. Das ergibt ungefähr dreizehn Monate in einem Jahr.«
    »Und …?«
    »Der erste Tag im zehnten Monat ist eigentlich irgendwann im September.«
    Elina hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Mit Mühe bedankte sie sich bei Martinsson und legte auf. Sie legte den Kopf auf die Schreibtischplatte und wünschte sich, dass alles um sie herum aufhören würde zu existieren. Erst als Didriksen das Zimmer betrat, stand sie langsam wieder auf. In knappen Zügen versuchte sie ihm die Sachlage zu erläutern.
    »Dann teile ich Bjerre mit, dass er nach Hause gehen kann, sobald der Staatsanwalt das Verfahren offiziell eingestellt hat«, sagte er. »Erledigen Sie jetzt bitte noch den Rest.« Er gab ihr die Hand. Sie erwiderte kraftlos seinen Händedruck.
     
    Eine Stunde später war alles geregelt. Didriksen begleitete Elina zu einem Streifenwagen, der sie zum Flugplatz bringen sollte.
    »Seltsam«, meinte er. »Das Mädchen war also hier. Ihre richtige Mutter ist schon lange tot. Sie hat eigentlich nur nach ihrem Vater gesucht.«
    »Ja«, entgegnete Elina.
    »Und Sie haben den Mörder gesucht.«
    »Ich dachte, es handelt sich dabei um ein- und dieselbe Person.«
    »Das Mädchen hat seinen Vater gesucht und den Mörder gefunden. Sie haben den Mörder gesucht, fanden aber den Vater.«
    Elina hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihren Füßen schwankte.
    »Und jetzt ist alles zu spät«, sagte sie leise.
    »Für sie vielleicht nicht. Denken Sie daran.«
    Sie verabschiedeten sich voneinander. Als Elina einige Stunden später im Flugzeug saß, schaute sie auf die Berge herab. Sie umgaben die Menschen auf den Inseln wie eine Festungsmauer.

58. KAPITEL
    Niemand betrachtete es als ein Versagen. Niemand außer Elina selbst. Sie bat Jönsson um etwas Zeit, um alles zu verarbeiten. Er gewährte sie ihr und ließ sie bis auf weiteres in Ruhe.
    Fünf Tage nach ihrer Rückkehr von den Lofoten saß sie in ihrem Auto. Sie hatte die Musik voll aufgedreht und damit die Gedanken in ihrem Kopf fast zum Schweigen gebracht.
    Sie parkte vor einem sechsgeschossigen Haus in Gröndal und ging in den zweiten Stock. Die junge Frau, die ihr öffnete, erinnerte an die Fotos von Ylva. Sie setzten sich in die Küche. Elina erzählte ihr die ganze Geschichte von der Mutter, dem Vater und dem Mörder der Mutter. Kari unterbrach sie nur mit kurzen Fragen.
    Anschließend schwiegen beide. »Wo ist ihr Grab?«, fragte Kari schließlich.
    »In Uppsala«, antwortete Elina. »Sie haben dort einen Onkel. Er heißt Roger Malmberg.«
    »Einen Onkel«, sagte Kari. »Das hatte ich früher nicht.«
    Elina erwartete weitere Fragen über den Vater.
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