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Der Sohn des Alchemisten

Der Sohn des Alchemisten

Titel: Der Sohn des Alchemisten
Autoren: dtv
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spitzen Fingern aus dem Wachspapier.
    »Sieht aus, als wäre es ein Kochbuch mit lauter Töpfen«, meinte Marie. »Und was sind das für seltsame Röhrchen?«
    »Das ist eine Apparatur, mit der Quecksilber gekocht, verdampft und verwandelt werden kann«, sagte Jakob.
    »Lies doch mal vor!« Marie kam sich neben Jakob ziemlich dumm vor. Sie konnte nicht einmal ihren eigenen Namen schreiben.
    Mühsam begann Jakob, die verschnörkelte Schrift zu entziffern. »Die Welt ist eins und eins ist in allem«, begann er. »Ergründest du das Eine, wird der Ewige selbst dich Seine Wege leiten. Er, der Himmel und Erde gemacht hat und alle Elemente, der wird auch dich leiten, denn wie im Großen, so geschieht’s im Kleinen   –«
    Marie unterbrach ihn. »Verstehst du ein Wort davon?«
    Jakob kratzte sich am Kopf. »Ich hab ja gesagt, es ist alles sehr verrätselt. Mein Vater hat mich ehrlich gesagt nicht in seine Forschungen eingeweiht.«
    »Und wo steht was vom Stein?«
    Jakob seufzte. »Alles dreht sich irgendwie um den Stein. Hier. Das sind lauter Anweisungen, um wie viel Uhr bei welcher Temperatur die Elemente zu verdampfen sind, bis sie ihre Farbe verändern. Rot ist der Stein der Weisen, so viel weiß ich. Aber die Hälfte der Zutaten ist mir völlig unbekannt, wahrscheinlich sind das alles Geheimnamen, die nur die Kundigen erkennen sollen.«
    Er schlug das Buch wieder zu.
    »Also werden wir vorerst beim Betteln bleiben!« Marie schnürte ihr Bündel wieder. Ihre Kleider waren schon fast trocken. Und nachdem Jakob seine Kürbisflasche mit frischem Wasser gefüllt hatte, machten sie sich wieder auf den Weg. Stetig ging es jetzt bergab, entlang kleiner Steinmauern und Hecken. An einer Weggabelung standen sie eine Zeit lang unschlüssig und überlegten hin und her, bis Marie zwischen zwei knorrigen Eichen einen Steinhaufen entdeckte.
    »Da!«, rief sie, »die nächste Markierung für den Pilgerweg!«
    Es war schon Nachmittag, als sich vor ihren Füßen ein breites Tal auftat. Direkt vor ihnen leuchteten die Dächer einer kleinen Stadt, über die eine Zitadelle mit spitzen Zinnen wachte. Hinter der Stadt wand sich ein Fluss durch das Tal. Eine steinerne Brücke spannte sich über ihn.
    Die Stadt nannte sich Ponferrada, wie sie bald in Erfahrung brachten, und der Weg der Pilger führte über die Brücke weiter. An einem Zollhäuschen reihten sich dieLeute, die hinüberwollten. Daneben lehnten zwei Ritter im Gewand des Santiagoordens.
    »Das habe ich mir gedacht«, murmelte Jakob. »Wer rüberwill, muss zahlen. Und wir haben keinen Heller.«
    »Eins nach dem anderen«, sagte Marie. »Komm, lass uns erst einmal auf den Marktplatz schauen.«
    Nach der langen Wanderung durch die einsamen Hügel traf sie der Trubel der Stadt wie eine Keule. Auf dem Platz vor der Kirche verkauften einige Bauern mit ihren Karren Gemüse, Eier und Käse. In großen Holzbottichen schwammen Oliven und Paprikaschoten. An Leinen hing gesalzener Fisch. Davor drängten sich die Leute, lachten, gestikulierten, riefen quer über die Straße und traten nach den Hunden, die durch den Trubel streunten und laut aufjaulten, wenn sie einmal ein Stiefel getroffen hatte.
    Marie und Jakob lief das Wasser im Mund zusammen, als sie die duftenden Zwiebelzöpfe sahen, die erdigen Rüben, die Pastinaken und die leuchtend grünen Bohnen.
    »Ich weiß gar nicht, wie Betteln geht«, sagte Jakob kleinlaut. »Meinst du, wir sollen einfach die Hand aufhalten?«
    Marie zuckte die Schultern. »Lass es uns mal bei dem Bauern dort drüben versuchen.«
    Die beiden drückten sich verstohlen durch die Leute zu einem der Karren, doch bevor sie den Mund auftun konnten, knurrte der Bauer schon: »Ich gebe nichts, wie oft noch. Sehe ich aus, als hätte ich Rüben genug, um sie den Säuen vorzuwerfen?«
    »Wir sind keine Säue! Hör mal, du Bauer, du! Ich bin Jakob Flamel aus Paris   –«, Jakob wollte gerade losschimpfen, aber Marie schob ihn zur Seite.
    »Nur keinen Streit anfangen«, flüsterte sie ihm zu. »Versuchen wir es woanders.«
    Da ertönte hinter ihnen ein Pfiff. Marie sah sich um. An einer Hauswand lehnte ein magerer braun gebrannter Junge, nicht älter als sie. Er grinste breit.
    »Was will der Kerl?«, fragte Jakob und wandte sich ab. »Schau dir mal an, was der für Lumpen am Leib trägt. Das ist doch selbst ein Bettler.«
    Er wollte eilig weitergehen, stolperte aber über einen der streunenden Hunde und purzelte fluchend in den Staub.
    »Jakob!« Marie schrie leise auf,
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