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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Titel: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Autoren: Robert L Stevenson
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aus, »er befindet sich in Schwierigkeiten! Was hat er angestellt?«
    Mr. Utterson und der Inspektor wechselten einen Blick. »Er scheint nicht sehr populär zu sein«, erwiderte der letztere, »und jetzt, meine gute Frau, gestatten Sie mir und diesem Herrn, ein wenig Umschau zu halten.«
    In dem ganzen Gebäude, das bis auf die alte Frau keine Menschenseele beherbergte, hatte Mr. Hyde nur ein paar Zimmer in Benutzung.
    Diese jedoch waren luxuriös und mit feinem Geschmack ausgestattet. Eine Kammer war mit Wein gefüllt, das Geschirr war aus Silber, das Tischzeug elegant, ein gutes Bild hing an der Wand, wie Utterson vermutete ein Geschenk von Henry Jekyll, der auf diesem Gebiete als Kenner gelten konnte; üppige Teppiche, schön in der Farbe, lagen umher. Im Augenblick jedoch trugen die Räumlichkeiten alle Anzeichen einer vor kurzem erfolgten, eiligen Plünderung. Kleidungsstücke lagen auf dem Boden verstreut, das Innere der Taschen nach außen gekehrt, verschließbare Schubladen standen offen, und der Kamin war mit einem Haufen grauer Asche angefüllt, als ob zahlreiche Papiere verbrannt worden wären. Aus diesen Überresten zog der Inspektor den Rücken eines grünen Scheckbuches hervor, der dem Feuer widerstanden hatte. Hinter der Tür fand man die andere Hälfte des Stockes, und da sich damit der Verdacht des Beamten bestätigte, war er schlechtweg begeistert. Ein Besuch auf der Bank, bei der man noch mehrere tausend Pfund, die zu des Mörders Verfügung bereitlagen, vorfand, machte seine Befriedigung vollständig. »Sie können sich darauf verlassen, mein Herr«, sagte er zu Mr. Utterson, »ich habe ihn fest in der Hand. Er muß vollständig den Kopf verloren haben, sonst hätte er nie den Stock zurückgelassen, vor allem aber nicht das Scheckbuch verbrannt; Geld ist doch des Mannes Lebenselixier. Wir brauchen nichts anderes zu tun, als in der Bank auf ihn zu warten und den Steckbrief zu erlassen.« Das war aber doch nicht so einfach zu bewerkstelligen; denn Mr. Hyde hatte nur wenig Umgang gepflogen -selbst der Herr des Dienstmädchens hatte ihn nur zweimal gesehen; seine Familie konnte nirgends aufgespürt werden, er hatte sich nie fotografieren lassen, und die wenigen, die ihn beschreiben konnten, wichen in ihren Beschreibungen so weit voneinander ab, wie das gewöhnlich bei Zeugen der Fall ist. Nur in einem Punkte waren alle einig; das war das quälende Gefühl einer nicht näher zu beschreibenden Verunstaltung, das der Flüchtige bei allen, die ihn je gesehen hatten, erweckte.

5. Der Brief
    Es war spät am Nachmittag, als Mr. Utterson Dr. Jekylls Haustüre erreichte. Er wurde sofort von Poole eingelassen und herunter durch die Küchenräume und über einen Hof, der einst ein Garten gewesen war, in das Laboratorium oder den Seziersaal geführt. Der Doktor hatte das Haus von den Erben eines berühmten Chirurgen erworben. Da seine eigenen Neigungen mehr der Chemie als der Anatomie galten, hatte er die Bestimmung des Gebäudes im Hintergrund des Gartens geändert. Zum erstenmal wurde der Anwalt in diesem Teil der Wohnung seines Freundes empfangen. Neugierig betrachtete er den schmutzigen, fensterlosen Bau und blickte mit einem quälenden Gefühl der Befremdung umher, während er den Hörsaal durchschnitt, in dem sich einst Scharen fleißiger Studenten drängten, und der jetzt öde und schweigend dalag, die Tische beladen mit chemischen Apparaten, der Boden mit Kisten vollgestellt und mit Packmaterial bedeckt, wahrend das Licht trübe durch die unsaubere Kuppel fiel. Am hinteren Ende führten einige Stufen zu einer von dunkelrotem Fries bespannten Tür. Durch diese gelangte Mr. Utterson endlich in des Doktors Arbeitszimmer. Es war ein großer Raum, rundum mit Glasschränken vollgestellt und unter anderem mit einem Drehspiegel und einem Experimentiertisch ausgestattet. Drei staubige, mit Eisenstäben gesicherte Fenster blickten auf den Hof. Das Feuer brannte auf dem Rost, auf dem Kaminsims stand eine angezündete Lampe; denn selbst in das Innere der Häuser begann der Nebel in dicken Schwaden einzudringen. Dort, dicht neben dem Ofen, saß Dr. Jekyll mit dem Aussehen eines Todkranken. Er stand nicht auf, um seinen Besucher zu begrüßen, sondern streckte nur seine kalte Hand aus und hieß ihn mit gänzlich veränderter Stimme willkommen.
    Sobald Poole sie allein gelassen hatte, fragte Mr. Utterson: »Hast du die Neuigkeiten schon gehört?«
    Der Doktor schauderte. »Sie brüllen es ja durch das ganze Viertel,
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