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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher
Autoren: Robert Silverberg
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ein blauer Dunst. Der säuerlich-würzige Geruch pulverisierter Knochen lag über allem: In jenem Jahr rauchten wir gedoptes Kalzium. Ovale Kristallfenster liefen gleich riesigen Bullaugen rund um das gesamte Apartment. In den Räumen, die nach Osten gingen, war die Aussicht von den zwei monolithischen Pfeilern des World Trade Centers verstellt, ansonsten aber bot Sarkisian ein sehr anständiges 270-Grad-Panorama des New Yorker Hafens, von New Jersey, dem West Side Expressway und wohl auch einem Stück Pennsylvania. Nur in einem der riesigen, keilförmigen Zimmer waren die Bullaugen undurchsichtig, und als ich in den benachbarten Keil ging und in einem spitzen Winkel zum Fenster hinausschaute, fand ich den Grund: Jener Teil des Turms lag dem noch erhaltenen Stumpf der Freiheitsstatue gegenüber, und Sarkisian wollte offenbar vermeiden, daß der Anblick seine Gäste bedrückte. (Es war, wie Sie sich erinnern mögen, der Sommer des Jahres ‘95, einem der gewalttätigsten Jahre des Jahrzehnts, und alle zitterten noch von den ständigen Bombenanschlägen.)
    Die Gäste! Wie versprochen, war es ein aufsehenerregender Schwarm von Opernsängerinnen, Astronauten, Footballspielern und Aufsichtsratsvorsitzenden. Die Abendgarderobe reichte von förmlich bis extravagant, und es gab die zu erwartende Darbietung von Brüsten und Genitalien; aber auch, von Seiten der Avantgarde, die ersten Andeutungen der fin-de-sie-cle-Vorliebe für verhüllende Kleidung, hohe Kragen und enge Stirnbänder. Ein halbes Dutzend Männer und einige Frauen täuschten mit ihrer Garderobe geistliches Gewand vor, und ich glaube, es gab mindestens fünfzehn Pseudogeneräle, deren Ordensbrüste einen afrikanischen Diktator vor Neid hätten erblassen lassen. Ich war, wie ich mir einbildete, ziemlich schlicht gekleidet, nämlich in einen faltenlosen, strahlgrünen Trikotanzug mit einer dreireihigen Perlenkette. Obwohl die Räume mit Besuchern dicht gefüllt waren, war doch der Fluß der Geselligkeit keineswegs chaotisch; ich erkannte acht oder zehn große, dunkelhäutige, eifrige Männer in unauffälliger Kleidung, wichtige Mitglieder von Haig Mardikians allgegenwärtiger Armenischer Mafia, die wie Torpfosten, wie Slalomstäbe, wie Orientierungstürme in regelmäßigen Abständen über den größten Raum verteilt waren, jeder auf vorherbestimmter, fester Position, und sehr tüchtig und effizient Rauchwaren und Getränke anboten, Gäste einander vorstellten und gewisse Leute unauffällig zu anderen dirigierten, deren Bekanntschaft zu machen für sie nützlich und wünschenswert sein konnte. Ich hatte keine Schwierigkeit, in diese feinen Strömungen einzutauchen und mich von ihnen befördern zu lassen, schüttelte Hände mit Ara Garabedian oder Jason Komurjian oder vielleicht George Missakian und fand mich schließlich in einer Kreisbahn auf Kollisionskurs mit einer sonnengesichtigen, goldhaarigen Frau namens Aurumn, die nicht Armenierin war und mit der ich viele Stunden später tatsächlich nach Hause ging.
    Doch bevor Autumn und ich soweit waren, wurde ich stundenlang von sanften Händen durch einen Konversationsreigen geschoben, in dessen Verlauf ich - mich in ein Gespräch mit einer Frau vertieft fand, die eine Schwarze war, geistvoll, von umwerfendem Aussehen und einen halben Meter größer als ich; richtig riet ich, daß es sich um Ilene Mulamba handelte, die Präsidentin von Radio Vier; diese Begegnung führte zu einem phantastischen Beratervertrag mit ihrer Gesellschaft, die ich beim Entwurf von Auswahlprogrammen für ethnische Gruppen unterstützen sollte.
    - behutsam die spielerischen Annäherungsversuche Ronald Holbrechts abbog, der Abgeordneter im Stadtparlament war, selbsternannter Sprecher der Homosexuellen und der erste Mann außerhalb Kaliforniens, der eine Wahl mit Unterstützung der Homophilen Partei gewonnen hatte.
    - in eine Unterhaltung zweier weißhaariger Herren hineinwanderte, die wie Bankiers aussahen, sich aber als Bioenergetik-Spezialisten vom Bellevue und Columbia-Presbyter entpuppten, die Erkenntnisse über ihre laufende Sonopunktur-Arbeit austauschten, wobei es auch um die Ultraschallbehandlung fortgeschrittener bösartiger Knochengeschwülste ging.
    - einem Manager von den CBS-Laboratorien lauschte, der einem glotzäugigen, eifrig nickenden jungen Mann von ihren neuentwickelten Charisma-Steigerungs-Biofeedback-Schleifen berichtete.
    - erfuhr, daß der glotzäugige junge Mann Lamont Friedman vom undurchsichtigen und mit verwirrend
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