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Der Seher

Der Seher

Titel: Der Seher
Autoren: Robert Silverberg
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angebrachte Armbanduhr aussah, war in Wirklichkeit ein Daten-Terminal, der selten stillstand. Aber höhere Mathematik und Hollywood-Technologie waren nur Aspekte der einleitenden Phasen meiner Arbeit, des Intake-Stadiums. Wenn es an die tatsächlichen Prognosen ging, konnte mir IBM nicht helfen. Allein mit meinem auf sich selbst verwiesenen Geist mußte ich meine Kunststücke vollführen. So stand ich dann allemal in furchtbarer Einsamkeit am Rande jenes Felsens, und obwohl Sonar mir die Formung des Meeresbodens verraten und General Electrics beste Transponder mir die Geschwindigkeit der Gezeitenströmung, die Temperatur des Wassers und den Trübungsindex mitteilen mochten, im entscheidenden Augenblick der Realisierung war ich ganz auf mich selbst gestellt. Mit zum Spalt verengten Augen würde ich das Wasser durchforschen, dann meine Knie beugen, mit den Armen ausholen und meine Lungen mit Luft füllen – und warten, bis ich sah, bis ich wahrhaft sah, und wenn ich dann diese wunderbare, zuversichtliche Erregung hinter meinen Augenbrauen spürte, ja, dann würde ich schließlich springen, kopfüber würde ich mich, auf der Suche nach jenem Dukaten, in die wogende See schnellen, nackt und ungeschützt und unfehlbar würde ich auf mein Ziel zuschießen.
     
6
    Von September 1997 bis März 2000, also bis vor neun Monaten, war ich von der Idee besessen, Paul Quinn zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu machen.
    Besessen. Das ist ein starkes Wort. Es schmeckt nach Sacher-Masoch, Krafft-Ebbing, nach rituellem Händewaschen und Gummi-Unterwäsche. Und doch glaube ich, daß es den Charakter meiner Beziehung zu Quinn und seinen Ambitionen genau beschreibt.
    Haig Mardikian machte mich im Sommer des Jahres ‘95 mit Quinn bekannt. Haig und ich sind auf dieselbe Privatschule gegangen – Dalton, etwa 1980-82, wo wir zusammen viel Basketball spielten –, und wir haben seitdem unseren Kontakt bewahrt. Er ist ein raffinierter, luchsäugiger Anwalt, ungefähr drei Meter groß, der unter anderem – unter vielem anderen – der erste Justizminister der Vereinigten Staaten von armenischer Abstammung werden will und wahrscheinlich wird.
    (Wahrscheinlich? Wie kann ich daran zweifeln?) An einem drückend heißen Augustnachmittag rief er mich an und sagte: »Sarkisian gibt heute Abend eine große Party. Es wird sensationell. Du bist eingeladen. Ich garantiere, für dich wird etwas Gutes dabei herauskommen.« Sarkisian ist ein Immobilienmakler, dem, so scheint es, beide Seiten des Hudson auf sechs- oder siebenhundert Kilometer Länge gehören.
    »Wer wird denn da sein?« fragte ich. »Ich meine, außer Ephrikian, Missakian, Hagopian, Manoogian, Garabedian und Bhogosian.«
    »Berberian und Khatisian«, sagte er. »Ferner…« Und Mardikian schnarrte eine glanzvolle, eine strahlende Liste großer Namen aus den Welten der Hochfinanz, Politik, Industrie, Wissenschaft und Kunst herunter, endend mit »… und Paul Quinn.« Bedeutungsschwerer Nachdruck auf diesem letzten Namen.
    »Sollte der mir bekannt sein, Haig?«
    »Er sollte; aber zur Zeit kennst du ihn wahrscheinlich noch nicht. Er sitzt als Abgeordneter im Parlament des Staates New York. Wahlkreis Riverdale. Von dem Mann wird man in der Politik noch viel hören.«
    Es war mir nicht sonderlich viel daran gelegen, meinen Samstagabend in Gesellschaft irgendeines ehrgeizigen jungen Politikers irischer Abstammung zu verbringen, der mir die Ohren mit seinen Plänen für die Neuordnung der Milchstraße vollblasen würde; andererseits hatte ich für Politiker schon einige Male prognostische Arbeit geleistet, da war viel Geld drin, und Mardikian hatte ein feines Gespür dafür, was gut für mich war. Und die Liste der Geladenen war unwiderstehlich. Außerdem verbrachte meine Frau den Monat August als Gast einer vorübergehend unterbesetzten Sechsergruppe in Oregon, und ich malte mir hoffnungsvoll aus, wie ich von der Party mit einer leidenschaftlichen dunklen Armenierin nach Hause käme.
    »Um wie viel Uhr?« fragte ich.
    »Um neun«, sagte Mardikian.
    Also hinüber zu Sarkisians Wohnung: ein Penthouse aus drei ineinander verschachtelten Einheiten auf dem Dach eines neunzigstöckigen, runden Wohnturms aus Alabaster und Onyx, der sich auf einer Plattform im Hudson vor der Lower West Side erhob. Wächter mit ausdruckslosen Gesichtern, die ebenso gut aus Metall und Plastik hätten sein können, prüften meine Identität, durchsuchten mich nach Waffen und ließen mich ein. Die Luft im Innern war
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