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Der Schwefelfluss

Der Schwefelfluss

Titel: Der Schwefelfluss
Autoren: Hubert Haensel
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stürmte dann aber mit schnellen Schritten weiter.
    Beim Schrei des Bitterwolfes ...
    Erlebte er hier ein Stück seiner eigenen Vergangenheit? Ähnlich musste es gewesen sein, als man ihn gefunden hatte. Mythor fühlte sich sofort zu dem Jungen hingezogen, der ihn an sein eigenes Schicksal erinnerte.
    Das Kind, das ängstlich und völlig verstört auf den großen grauen Wolf blickte, der vor ihm kauerte, mochte etwa acht Jahre alt sein, also älter, als Mythor damals war.
    Seine dunkle Hautfarbe passte ebensowenig in diese Gegend wie das Gewand, das es trug: Der Fallensteller Vormen hatte einen solchen Umhang beschrieben.
    Als Mythor näher kam, sprang der Junge auf und rannte davon. Der Krieger konnte ihn nicht zurückhalten, denn er entwischte durch den schmalen Spalt, den die beiden Felsblöcke miteinander bildeten.
    Hark verstummte. Aber dann ging Mythor auf das Gemäuer zu, in dem der Junge verschwunden war, und der Wolf begann laut zu knurren. Drohend zog er die Lefzen hoch und entblößte sein mächtiges Gebiss. Doch der Sohn des Kometen scheuchte ihn mit einer unwilligen Handbewegung zur Seite.
    Mythor wusste, dass der Wolf ihn warnen wollte. Indes war ihm das Schicksal des Findelkinds wichtiger als eine mögliche Gefahr, in die er sich unvorbereitet begab.
    Das Schneetreiben wurde heftiger. Ein schneidender Wind peitschte Mythor entgegen. Was er für die Ruinen einer allmählich zerfallenden Burg gehalten hatte, zeigte sich ihm jetzt als die geborstenen Säulen eines uralten Tempels.
    Ein Geheimnis schien diesen Ort zu umgeben. Mythor glaubte in eine andere Welt zu kommen.
    Ruhe und Frieden umfingen ihn. Alles war fremd und doch gleichzeitig so vertraut, als habe er schon immer zwischen diesen Säulen gelebt, die Schutz und Wärme versprachen. Hier schien es keine Gefahr durch die anrückenden Caer und die Mächte der Schattenzone zu geben. Aller Hader zwischen den Völkern, Krieg und Hass verblassten zur Bedeutungslosigkeit.
    Mythor fühlte sich von einer unwiderstehlichen Macht angezogen. Da war etwas, das ihn rief.
    Er glaubte die Stimme einer Frau zu hören, weich wie das Fell einer Schneekatze, berauschend wie süßer Wein und sinnlich betörend. Sie sprach zu ihm, wie Liebende miteinander reden.
    Sofort dachte er an das Bildnis der unbekannten Schönen. Er holte es unter seinem Wams hervor und schaute es lange und nachdenklich an. Ihre Augen strahlten in einem verheißungsvollen Feuer. Ihr langes, wallendes Haar wirkte wie der Schein der Sonne.
    Wenn er nur ihren Namen gekannt hätte!
    Mythor war überzeugt davon, dass er dieser göttlichen Frau begegnen würde. Ganz nahe war die Erfüllung seiner Träume. Irgendwo im Inneren des verfallenen Tempels wartete sie auf ihn.
    Wieso hier? Weshalb nicht an einem anderen Ort, der ihr angemessen gewesen wäre?
    Mythor drängte die lästigen Gedanken beiseite. Das Pergament in seiner Hand zitterte. Aber es war nur die freudige Erregung, die sich seiner bemächtigte.
    Syrina!
    Ganz deutlich war es in seinem Kopf: Syrina. Klangvoll und schön. Mythor wusste, dass dies ihr Name war. Leise murmelte er ihn vor sich hin, ganz dem Zauber des Augenblicks erlegen. Er folgte der Stimme, die ihn rief. Das Tosen des aufkommenden Sturmes hörte er nicht mehr, nur noch den Klang seiner Schritte, der von den Säulen ringsum widerhallte.









 
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