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Der Schatz von Franchard

Titel: Der Schatz von Franchard
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Tat eine recht angenehme Stimme. Jetzt endlich hatte er einen Zuhörer gesunden, der nicht Anastasiens zynischen Gleichmut besaß, und der ihn überdies durch die treffendsten Einwände auf dem Qui Vive erhielt. Und galt es nicht außerdem, den Jungen zu erziehen? Darin find sich sämtliche Philosophen einig, daß die Erziehung der Jugend die philosophischste aller Pflichten ist. Und kann den armen Sterblichen etwas Himmlischeres passieren, als wenn ihr Steckenpferd sich zu einer Staatsbürgerpflicht auswächst? Dann, wahrlich, verwandeln sich die Gewohnheiten des Lebens zu Genüssen. Noch nie hatte der Doktor so sehr Ursache gehabt, mit seiner Begabung zufrieden zu sein. Die Philosophie floß ihm nur so von den Lippen. Er war ein so gewandter Dialektiker, daß er seinen Unsinn, wenn nötig, auf irgend einen sinnvollen Ursprung zurückzuführenvermochte und ihn als Blüten seines Systems verkleidete. Den Antinomien entschlüpfte er wie ein Fisch und versetzte seinen Junger in Erstaunen über des Rabbis Abgründigkeit.
    Überdies war er in der tiefsten Tiefe seines Herzens enttäuscht über den Mißerfolg seines formalen Unterrichts. Ein Junge, den ein so scharfsinniger Beobachter aus Grund seiner Fähigkeiten auserlesen hatte, und dem ein so philosophischer Erzieher den Weg zur Weisheit wies, mußte nach den Gesetzen des Universums offensichtlichere und gründlichere Fortschritte machen. Nun war aber Jean-Marie in allen Dingen schwerfällig und in manchen Dingen unergründlich; und sein Talent zum Vergessen hielt mit seinem Talent zum Lernen Schritt. Daher legte der Doktor ganz besonderen Wert auf die peripatetischen Vorträge, denen der Junge beiwohnte, die ihm gewöhnlich Freude machten, und aus denen er nicht selten lernte. Viele, viele solche Unterhaltungen fanden zwischen den beiden statt, und Gesundheit und Mäßigung waren der Gegenstand von Doktor Desprez Abschweifungen. Zu ihm kehrte er immer wieder zurück.
    »Ich führe dich,« pflegte er zu sagen, »durch grüne Triften. Mein System, mein Glaube, meine Medizin lassen sich in einen einzigen Satz zusammenfassen – meide den Exzeß. Natur, die göttliche, gesunde, mäßige Natur verabscheut und vernichtet den Exzeß. Die menschlichen Gesetze eisern, wenn auch in großen Abständen, darin ihren Bestimmungen nach, und an uns ist es, die Gesetze in ihren Bestrebungen zu unterstützen. Jawohl, Junge, wir müssen uns selbst und unserenMitmenschen gegenüber das Gesetz darstellen – lex armata – das bewaffnete, gebieterische, tyrannische Gesetz. Siehst du ein gebrechliches menschliches Wesen Schnupftabak nehmen, so schlage ihm die Dose aus der Hand! Der Richter ist mir, obwohl er gleichfalls eine Konzession an das Übel darstellt, doch ein geringeres Greuel als der Arzt oder der Priester. Vor allem der Arzt – der Arzt und der ganze faule Plunder und Trödel seiner Pharinacopoea! Reine Luft – vorzüglich aus der Nähe eines Fichtenhaines, wegen des Terpentins, – unverschnittenen Wein und die Betrachtungen eines arglosen Gemütes angesichts der Werke der Natur – diese, mein Junge, sind die besten Medikamente – und die trefflichste Erbauung. Ihnen gib dich hin. Horch! Sind das nicht die Glocken von Bourron? (Der Wind steht im Norden, es wird also schönes Wetter werden). Welch klarer, luftiger Ton! Die Nerven legen sich zur Ruhe; der Geist ist auf Schweigen gestimmt. Bemerke nur, wie leicht und regelmäßig dein Herz klopft! Der unaufgeklärte Arzt würde diesen Empfindungen zwar nichts entnehmen; du selbst jedoch erkennst sie als die Zeichen der Gesundheit. – Hast du übrigens heute morgen an deine Chinarinde gedacht? Gut! Chinarinde ist gleichfalls ein Werk der Natur; es ist schließlich nur ein Teil eines Baumes, und wir könnten sie uns selbst sammeln, wenn wir in jenen Gegenden lebten. – Welch eine wunderbare Welt! Mir als überzeugtem Atheisten ist es dennoch eine Freude, für die Welt Zeugnis ablegen zu können. Denk an die Heilmittel und Genüsse, die kostenlos unsern Pfad umgeben! Am Saume unseres Gartensfließt der Fluß vorbei, unser Bad, unser Fischteich, unsere natürliche Drainageanlage. Im Hofe ist ein Brunnen, der funkelndes Wasser in Hülle und Fülle aus dem Herzen der Erde emporschickt, sauberes, kühles Wasser, das mit ein wenig Wein vermischt äußerst zuträglich ist. Der Bezirk ist als gesund berühmt; Rheumatismus ist das einzige endemische Übel, und ich selbst habe bisher nicht das geringste davon gespürt. Ich sage dir –
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