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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition)
Autoren: Chris Moriarty
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plötzlich genauso wie mein Vater?«, fragte er sanftmütig.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Sascha. »Ich habe ihn nie so reden hören.«
    »Weil er es zu deiner Zeit schon besser wusste«, sagte Danny Kessler. »Und ich sollte es eigentlich auch besser wissen«, gab er reumütig zu. »Willst du wirklich Beka das Geld geben? Hast du dir genau überlegt, was du damit aufgibst?«
    »Ja, ich gebe gar nichts auf, oder genauer gesagt nichts, was mir so wichtig wäre wie Beka das Studium.«
    »Nun, du verdienst so viel wie ein gestandener Mann«, bestätigte ihm sein Vater, »da ist es wohl an der Zeit, dass ich dir zutraue, auch solche Entscheidungen zu treffen. Aber glaube ja nicht, du wüsstest jetzt mehr über die Welt als deine Mutter, damit erreichst du nichts, das sage ich dir!«
    Und so kam es, dass Beka die Arbeit bei Pentacle aufgab und tagsüber zur Schule ging. Der Winter entließ die Stadt aus seinem eisigen Griff, der Himmel wurde heller und mit jedem Tag rückte der Frühling näher. Und plötzlich, ohne dass Sascha es mitbekommen hätte, war es schon wieder April:
Pessach.
    Pessach war nun sicherlich nicht der größte Feiertag im Jahr, aber da mit ihm stets der Frühling einzog, brachte er alljährlich die Hoffnung auf einen neuen Anfang und neue Wege. Schließlich war es der einzige Feiertag, über den sich keiner auf der ganzen Lower East Side beklagte, weder eingefleischte Atheisten noch glühende anarcho-wiccanistische Revolutionäre. Und so würde sicherlich gleich auch Mordechai eintrudeln. Moische war schon da, er saß auf dem großen alten Federbett neben Beka, als ihr inoffizieller Freund (da Beka sich offiziell noch weigerte). Sogar Beka, die an keinem anderen Feiertag in der Synagoge, auch nicht als Leiche, aufgefunden werden wollte, meinte, dass eine klare, antibürgerliche Haltung keinesfalls das feierliche Begehen des Pessachfestes ausschloss.
    Dieses Jahr saßen bei Kesslers aber noch weitere Gäste am Tisch. Saschas Mutter hatte etwas getan, was noch nie vorgekommen war. Sie hatte Lily Astral zum Fest eingeladen und, zum Erstaunen aller, auch Inquisitor Wolf.
    »Er hat mir schließlich das Leben gerettet«, rechtfertigte sie sich, als Sascha ihr vorhielt, der Kreis sei zu familiär für Wolf. »Dadurch ist er mein Freund geworden. Außerdem ist er Waise. Und es ist eine
Mizwa,
an Pessach Waisen zu essen zu geben.«
    Sascha hätte einwenden können, Wolf sei ein erwachsener Mann mit einem Amt und einem festen Gehalt und kein hungerndes Waisenkind, das gefüttert werden müsse. Aber wozu? Wolf kam zur Feier, das würde Sascha jetzt auch nicht mehr verhindern. Und als der schlaksige Inquisitor dann tatsächlich auf einem der wackeligen Stühle am Küchentisch saß, wollte Sascha es auch gar nicht mehr ändern. Seine Mutter hatte recht behalten, Wolf gehörte an diesem Abend an ihren Tisch, und sei es nur aus dem einen Grund, dass mit ihm und Lily die Lücke, die er in den vergangenen anderthalb Monaten nach Großvater Kesslers Abgang so schmerzlich empfunden hatte, nicht mehr so riesig schien.
    Mit seinem untrüglichen Instinkt für den Moment, wenn alle Arbeit getan war und nichts anderes zu tun bleibt, als zu essen, kam Onkel Mordechai mit Blumen und charmanten Entschuldigungen für sein Zuspätkommen buchstäblich in die Wohnung gehuscht.
    Er sah Lily Astral, hob leicht die Hand zum Gruß und betrachtete sie mit etwas verwirrtem Ausdruck auf den einnehmenden Gesichtszügen.
    »Sind wir uns schon einmal begegnet?«, fragte er.
    Lily hatte darüber keine Zweifel. Ihr ging vor Staunen der Mund auf, und sie sprang von ihrem Stuhl, als hätte dieser Feuer gefangen.
    »Graf Vogelonsky!«, rief sie und machte dazu einen Knicks, oder zumindest schien es Sascha so. »Ich hätte nicht geglaubt, Sie
hier
wiederzusehen!«
    »Äh, in der Tat«, sagte Mordechai und warf einen furchtsamen Blick auf seine Schwägerin. Doch als er sicher war, dass Mrs Kessler völlig vom Feiertagsessen beansprucht war, segelte er elegant durch das enge Zimmer – ohne sich den Hosenboden am Herd zu verbrennen oder am Ende des Küchentischs hängen zu bleiben. Dann beugte er sich über den Rücken der Hand, die Lily ihm entgegenstreckte, und hauchte dort stilvoll einen Handkuss.
»Enchanté,
Mademoiselle.«
    Mrs Kessler drehte sich gerade noch rechtzeitig zu ihnen, um den Handkuss zu sehen. Die Fäuste geballt, starrte sie ihren Schwager energisch an.
    »Mordechai Kessler!«, stellte sie ihn in scharfem Ton zur Rede. »Was
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