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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris
Autoren: Christine Lehmann
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saßen in den Computerräumen.
    Ich überlegte, statt in Büchern doch auch erst mal im Internet nachzugucken. An den Computern waren leider alle Plätze belegt. Aber einer erhob sich gerade und drehte sich um.
    Ich erschrak bis in die Kniekehlen. Es war der Gärtner. Er steckte im Anzug der Angestellten des Colegio Bogotano. Sein Blick streifte mich nur kurz, aber ich war mir sicher, dass auch er mich wiedererkannt hatte. Ich wollte etwas sagen, aber mir fiel buchstäblich nichts ein, vielleicht auch, weil ich mich nicht entscheiden konnte, in welcher Sprache ich ihn ansprechen sollte: Deutsch, Spanisch oder Englisch. Ehe ich auch nur den Mund aufbekam, war er an mir vorbei hinausgegangen. Rasch und leise, fast fluchtartig.
    Mein Herz klopfte völlig unangemessen heftig. Mit zittrigen Knien setzte ich mich an den Computerplatz, den er eben verlassen hatte, und mit fahrigen Händen klickte ich mich rein. Was hatte er hier gemacht? Die Bibliothek stand zwar den Angestellten offen, aber es waren meist die von der Verwaltung, die man hier traf, nicht die Gärtner oder Reinigungskräfte. Andererseits, wer sagte, dass er auch hier der Gärtner war? Wer war er überhaupt?
    Ich wandte mich an das Mädchen, das neben mir saß und in einem Musikportal surfte, und fragte: »Weißt du, wer das gerade eben war?«
    »Wer?«
    »Der hier saß?«
    »Ach, das war Damián von der Hausmeisterei.«
    »Ah.«
    »Er ist ein ehemaliger Schüler, glaube ich.«
    Ein ehemaliger Schüler! Ich staunte. Wenn er in der Hausmeisterei einen bestimmt ordentlich bezahlten Job hatte, wieso arbeitete er dann noch als Gärtner bei uns in der Anlage? Hatte er eine so große Familie zu ernähren? Andererseits, wenn seine Eltern sich diese Schule hatten leisten können, dann gehörten sie zur Oberschicht. Dann konnte er nicht ihr Alleinernährer sein. Und er konnte auch nicht aus den Slums der Südstadt stammen.
    Ich versuchte krampfhaft, mich an das zu erinnern, was ich heute Nachmittag hatte nachgucken wollen, aber mir fiel von den Worten, die die Alte am Waldhaus zu mir gesagt hatte, nur »Klumm« ein. Die Alte hatte das Wort irgendwie kompliziert ausgesprochen. »Klumm« würde mich sicher nicht zu geheimnisvollen indianischen Kobolden und Göttern führen. Eine Weile saß ich stier vor dem Bildschirm, dann gestand ich mir ein, dass ich immer noch mit dem Gärtner beschäftigt war, mit Damián.
    Damián! Ein seltsamer Name für einen Lateinamerikaner! So katholisch wie Kolumbien war, wurden Kinder zwar nach Heiligen benannt. Aber Damian, so nannte man bei uns den Schutzpatron der Ärzte. War Damiáns Vater womöglich auch Arzt, so wie meiner? Doch dann stellte sich einmal mehr die Frage, warum er als Gärtner und Hausmeister arbeitete, statt zu studieren, und zwar Medizin.
    Ich rief die Colegio-Seite auf, die nur für Interne zugänglich war, und schaute in der Liste der Angestellten nach. Da war er aufgeführt als Gehilfe des Hausmeisters: »Damián Dagua. Cl. 110, 45B, Santa Ana, Distrito Capital, Bogotá.«
    War ich nicht gestern genau dort herumgelaufen, in der Calle 110? War am Ende die Hausnummer genau die der Hütte mit den bemalten Pfosten?
    Mein Herz begann erneut, heftig zu schlagen. Verdammtes Herz! Warum reagierte es so hektisch? Das war total peinlich! Aber was ich eben entdeckt hatte, war auch ein Hammer. Wenn Damián bei der alten indianischen Hexe wohnte, dann war es sein Affe gewesen, der mich gestern früh beklaut hatte. Denselben Affen mit dem roten Halsband hatte ich auf dem Törchen zum Hexenhaus wiedergesehen. Wenn Damián in dem Haus mit dem Affen wohnte, wenn der Affe also womöglich ihm gehörte, dann war er am Ende doch ein Dieb. Dann hatte Elena recht, wenn sie meinte, er habe mir die Uhr nur zurückgegeben, weil ich zufällig vom Balkon hinabgeschaut hatte, als er sie sich von dem diebischen Äffchen hatte geben lassen. Und wenn das so war, dann hatte das Colegio Bogotano einen Dieb als Hausmeistergehilfen angestellt.
    Andererseits, wenn er vorher Schüler gewesen war, wer hatte dann das Schulgeld bezahlt? In so einer Hütte zwischen Bäumen am Berghang wohnten keine reichen Kolumbianer, die sich eine deutsche Schule leisten konnten. Es sei denn, das Geld war nicht rechtmäßig erworben worden, sondern stammte aus Drogengeschäften und wer weiß was noch alles. Vielleicht dealte Damián sogar mit Drogen. Hier an der Schule!
    Meine Überlegungen halfen leider nicht, mein Herzklopfen zu dämpfen. Im Gegenteil. Was musste ich
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