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Der Protektor (German Edition)

Der Protektor (German Edition)

Titel: Der Protektor (German Edition)
Autoren: Christina Czarnowske
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Denn dann würde er feststellen, dass es Stahleinlagen hat und sein Chiffreschloss nicht ganz einfach ist.
    Ich beende diese nützliche Tätigkeit, werfe meine übrigen Sachen nicht gerade sorgfältig in den Schrank und verlasse das Zimmer.
    Mit dem Köfferchen, versteht sich.
    Hedlund sieht mich, er sitzt an der Bar am Ende des Korridors. Er lässt das halb volle Glas Cola stehen und führt mich eine Etage tiefer – in Doktor Bressons Zimmer.
     
    Es liegt am Ende des Korridors, das dritte links. Er entfernt das Siegel von der Tür, der Schlüssel schnappt im Schloss.
    Während ich mit der Hand nach dem Lichtschalter taste, weht mir die abgestandene Luft eines geschlossenen Zimmers entgegen, vermischt mit dem dumpfen Geruch alten Tabakrauchs und staubiger Bücher. Ein Geruch, der mir aus der Studentenzeit wohl bekannt ist. Doch das Licht flammt auf, und alles rückt an seinen Platz.
    Es ist keine Studentenbude, obwohl da etwas ist, das ihr ähnelt – es ist ein Junggesellenzimmer, in dem ein Mann allein gelebt hat. Ein großer Wohn-Schlaf-Raum, eine schmale Kochnische, Vorraum mit eingebautem Schrank, Bad. Es herrscht Unordnung, und zwar gehörige, aber das war zu erwarten – das Zimmer war über Nacht versiegelt.
    Hier also hat sich Yanis Bresson nach der Arbeit aufgehalten, sich ausgeruht, dann vielleicht gelesen oder etwas geschrieben. Auf dem Schreibtisch liegen Bücher herum, in derselben Unordnung, mit Zetteln zwischen den Seiten. Daneben ein nicht abgedecktes Notebook. Über der Stuhllehne hängt so etwas wie ein Hausanzug, darin hat er zu Hause gearbeitet. Ich habe das Gefühl, dass er plötzlich aufgestanden ist, mitten in einem Gedanken. Er hat nur das Blatt aus dem Drucker genommen, angezogen, was ihm gerade in die Hände fiel, und ist weggegangen.
    Ich blicke auf und begegne den Augen Hedlunds. Darin flimmert ebenfalls Spannung. Vielleicht ist sie von mir auf ihn übergesprungen.
    „Sie haben eine Liste der Gegenstände in der Akte, Herr Inspecteur“, sagt er.
    Ja, ich habe sie gesehen. Aber jetzt steht mir der Sinn nicht nach Listen.
    „Haben Sie das Zimmer versiegelt, Kollege?“
    „Zusammen mit dem Herrn Kommissar Öberg“, bestätigt Hedlund.
    „Wie lange nach dem Unfall?“
    „Ungefähr“ – Hedlund überlegt - „… es war gegen zwei Uhr in der Nacht. Also drei Stunden darauf.“
    Das ist zu spät. Wenn jemand Bressons Sachen hätte durchwühlen wollen, war ihm mehr als ausreichend Zeit geblieben. Man muss ja noch die Zeit von dem Moment an hinzurechnen, wo Bresson weggegangen ist. Also nicht weniger als vier Stunden.
    Den Schreibtisch lasse ich für nachher. Jetzt will ich bloß einmal durch die Räume gehen. Ich will herausfinden, wie er gelebt hat, seine Gewohnheiten kennenlernen, die Arbeit, alles. Die Dinge um uns herum, das sind wir.
    Mit wem ist er zusammengekommen? Wer hat ihn besucht? Hat es eine Frau in seiner Umgebung gegeben? Was waren das für Forschungen? Wie weit war er damit gekommen?
    Das muss ich wissen. Bresson hat unter Beobachtung gestanden; das ist nicht gerade leicht und wird auch nicht von Dilettanten ausgeführt. Dazu bedarf es erfahrener Leute und Zentralen, in denen noch erfahrenere sitzen. Doch womit hat er deren Aufmerksamkeit erregt? Solche Institute und regionale Basen gibt es Dutzende.
    Ach ja, Hedlund sieht mich an, er erwartet eine neue Frage.
    „Sind Sie verheiratet, Kollege?“, frage ich.
    Er ist leicht befremdet, wahrscheinlich ist es kein guter Ton, persönliche Fragen zu stellen. Dann lächelt er.
    „Ja, Herr Inspecteur. Ich bin verheiratet, drei Kinder.“
    Wann hat er das denn zuwege gebracht! Drei Kinder. Und mir ist er mit diesem angeklatschten Haar und dem Stutzerbärtchen wie ein etwas angealterter Junggeselle erschienen.
    „Genug für heute“, sage ich. „Sie können gehen, hier komme ich allein zurecht. Doch für morgen bitte ich Sie, eine Besichtigung des Unfallortes vorzubereiten.“
    „Ich werde dafür Sorge tragen, Herr Inspecteur.“
    „Besten Dank!“ Ich gebe ihm die Hand. „Und gute Nacht.“
    Hedlund geht, ich streife weiter durch die Räume. „Streifen“ ist natürlich nicht das richtige Wort. Ich gehe durch das Zimmer, dann zur Kochnische und in den Vorraum. Ich will mir eine Vorstellung von seinem Alltag machen. Unsere Sachen sind wie Hunde – sie nehmen den Charakter ihrer Herren an.
    Aber nicht immer.
    Der Eindruck ist ein bisschen gemischt – ich hatte nicht erwartet, dass Yanni in so einer Unordnung gelebt hat.
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