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Der Pakt der Wächter: Roman

Der Pakt der Wächter: Roman

Titel: Der Pakt der Wächter: Roman
Autoren: Tom Egeland
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Wasserleiche.
    In Snorri Sturlusons Badebecken.

3
     
    Sirenengeheul zerreißt die Stille.
    Ein Schwarm Raben fliegt auf und verschwindet laut zeternd hinter dem Hügelkamm. Lögregla und sjúkrabíllinn – Polizeiund Krankenwagen – kommen in einem Tempo angerast, dass ich mich frage, ob sie sich seit Borgarnes ein Wettrennen liefern und am liebsten gar nicht anhalten würden, jetzt, wo sie endlich die richtige Geschwindigkeit erreicht haben. Sie können ja nicht wissen, dass ihr Einsatz schon seit Stunden keine Dringlichkeit mehr erfordert.
    Ich winke Polizeiauto und Krankenwagen hinter mir her zu dem Badebecken. Die Blaulichter blinken. Dann verstummen die Sirenen mit einem kurzen Wimmern, erst die eine, dann die andere. Hinter den Windschutzscheiben sehe ich ihre Gesichter; skeptisch, erwartungsvoll, ungläubig.
    Sira Magnus?
    Tot?
    In Snorris Badebecken?
    Ermordet?
    Sie können es gar nicht glauben. Reykholt ist der friedlichste Fleck auf Erden. Der letzte Mord auf Reykholt geschah vor siebenhundertsechsundsechzig Jahren. In einer Nacht im September 1241 wurde Snorri Sturluson von Gissur Thorvaldssons Männern getötet, im Auftrag des norwegischen Königs Håkon Håkonsson.
    Vorläufig bin ich noch der Einzige, der weiß, dass zwischen diesen Ereignissen ein Zusammenhang besteht.

Der Auftakt
     

1
     
    »Ich habe eine fantastische Entdeckung gemacht, Bjørn!«
    Sira Magnus war Pastor. Er rettete Menschen vor der Verdammnis. Ich selbst bin Archäologe und bewahre die Vergangenheit vor dem Vergessen.
    Folgt mir ein paar Tage in die Vergangenheit, nur zwei Tage, lasst mich die Geschichte zurückspulen, fast rewind, bis zum Samstagmorgen.
     
    Sira Magnus stand lächelnd und erwartungsvoll in der Sonne, als ich auf den Parkplatz von Reykholt bog, Snorris altem Reich auf Island. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihn durch die spiegelnde Windschutzscheibe vor mir – aufgeregt und quicklebendig. Ich parkte den Wagen. Sira Magnus hielt mir die Tür auf, und wir begrüßten uns mit einer linkischen Umarmung, die so typisch ist für uns Männer, als trauten wir uns nicht zu zeigen, wie viel Sympathie wir für den anderen empfinden.
    »Danke, dass du gekommen bist, Bjørn. Danke! Du wirst es nicht bereuen!«
    »Wann wirst du mir endlich erzählen, was du entdeckt hast?«
    »Bald, Bjørn, ganz bald.«
     
    Wir hatten uns etwa vor drei Jahren bei einem fachübergreifenden Symposium über den Goden- und Saga-Erzähler Snorri Sturluson kennengelernt. Sira Magnus hatte einen Vortrag über die Parallelen zwischen dem mittelalterlichen Snorri und dem antiken Sokrates als Verwalter von Weisheit und Vermittler von Wissen gehalten. Ich hielt einen Vortrag über Snorris angespanntes Verhältnis zum Birkebeinerkönig Håkon Håkonsson.
    So wurden wir Freunde.
    Vor einer Woche hatte er mich angerufen und nach Island eingeladen. Ich hatte keine Zeit und erklärte ihm, dass mich die Ausgrabung von Harald Hårfagres Königshof auf Karmøy komplett in Anspruch nahm, was er völlig ignorierte. Ich müsse unbedingt kommen. Er habe etwas entdeckt. Etwas von größtem historischem Interesse. Würde ich ihn nicht so gut kennen, hätte ich ihn als einen schrulligen Spinner abgetan. Aber Sira Magnus war ein besonnener, bodenständiger Pfarrer, der sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ.
     
    »Und was hast du nun entdeckt?«
    Mit dem Koffer in der Hand ging ich wenige Schritte hinter Sira Magnus den Fußweg zur Snorrastofa hoch, dem Forschungszentrum, das der Kirche und dem Museum angeschlossen war. Er hatte einen schwankenden Gang, als wäre ein Bein kürzer als das andere. Auf dem Parkplatz standen zwei Autos: Sira Magnus’ allradangetriebener BMW und mein Leihwagen.
    »Einen Codex! Eine Pergamentsammlung …«
    »Worum geht es?«
    »… geschrieben auf feinstem, weichstem Kalbsleder! Eine handschriftliche Sammlung mystischer Texte und Verse, Karten und Anweisungen, von Symbolen und Codes.«
    »Und worum geht es darin? Aus welcher Epoche? Wer hat den Text verfasst?«
    »Geduld, mein Freund, Geduld!«
    Sira Magnus sprach grundsätzlich langsam. Im Gleichklang mit dem Metronom seiner Seele, wie er sagte.
    »Warum hast du ausgerechnet mich gebeten zu kommen?«
    »Aber Bjørn, das liegt doch auf der Hand.«
    Ich bin mir nicht sicher, ob er damit auf unsere Freundschaft anspielte oder auf einen Vorfall vor einigen Jahren. Ich war damals norwegischer Aufseher einer archäologischen Ausgrabung gewesen, bei der der Shrine of
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