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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling
Autoren: Robert Silverberg
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ganze Ding war möglicherweise ein einziges Riesenei, und ich möchte dem Geschöpf ungern begegnen, das es gelegt hat. Die Klumpen da sind die Embryonen von Seeungeheuern, vermute ich. Tot natürlich. Ich mache wohl besser einen Bericht darüber und schau, daß ich sie hier rauskriege. Sie werden ziemlich rasch gräßlich stinken.«
    Er hörte ein Geräusch in seinem Rücken. Vom Gang spähte Io Sangrais herein. Seine rubinroten Bengaugen blitzten amüsiert. Io Sangrais war ein pfiffiger verspielter, gewandter und leichtherziger junger Mann. Sogar der Stammeshelm auf seinem Kopf war verspielt: eine eng anliegende Kappe aus dunkelblauem Metall, aus der absurd drei Korkenzieherspiralen aus rotlackierten Schilfstengeln wild emporragten.
    »Hoppla! Hast es endlich doch aufgekriegt, wie ich sehe.«
    »Ja, und es ist ein wundervolles Schatzkästchen, genau wie ich das erwartet habe«, sagte Plor Killivash mürrisch. »Ein Haufen vergammelter kleiner ungeschlüpfter Seeungeheuer. Ein weiterer großer Triumph für den kühnen Erkunder der Vergangenheit. Bist du gekommen, um dich an meinem Glanz zu weiden?«
    »Warum sollte ich das denn wollen?« Io Sangrais’ Stimme war honigsüß vor gespielter Unschuld. »Nein. Ich bin natürlich nur hier runtergekommen, um dir von dem grandiosen Triumph zu berichten, den ich mir grad geleistet habe.«
    »Ach ja? Hast du endlich deine alte Beng-Chronik fertig übersetzt? Und sie strotzt von Zaubersprüchen und Beschwörungsformeln, wie man Wasser in Wein verwandeln kann – oder Wein in Wasser, je nachdem, was man gerade lieber hat. Stimmt’s?«
    »Spar dir deinen Spott. Wie sich herausstellte, ist es überhaupt keine Beng-Chronik, sondern stammt von irgendeinem neuntklassigen kleinen Stamm, den die Beng vor langer Zeit geschluckt haben. Und es ist bemerkenswerterweise ein ausführlicher und gründlicher beschreibender Katalog der Sammlung dieses Stammes von geheiligten – Kieseln. Die Steine selbst gingen vor zehntausend Jahren verloren, kapierst du?«
    Chupitain Stuld gluckste. »Und so erhebt sich gewaltiges Jauchzen im Land. Die Aufdröselung der Rätsel der Vergangenheit durch die Experten des Hauses des Wissens schreitet unaufhaltsam im gewohnten bestürzenden Trott voran.«
    An diesem Nachmittag hatte Husathirn Mueri wieder Throndienst unter der großen Zentralkuppel der Basilika, eine Pflicht, in der er sich in täglicher Rotation mit den Prinzen Thu-Kimnibol und Puit Kjai abwechselte. Müde hörte er die Petitionen zweier grobstimmiger Getreidehändler, die von einem dritten Kornschieber Wiedergutmachung forderten, der sie vielleicht betrogen hatte, vielleicht aber auch nicht, als man ihm Nachricht brachte von der Ankunft des Fremden in der Stadt.
    Kein Geringerer als Curabayn Bangkea, der Hauptmann der Stadtwache persönlich, überbrachte ihm die Nachricht: ein Mann von herzhaftem Wuchs und breitspurigem Gehabe, der in der Regel mit einem kolossalen blitzenden Goldhelm bedeckt war, anderthalbmal so groß wie sein Schädel und verziert mit geschmacklosen zahllosen Hörnern und Klingen. Er trug den Helm auch jetzt. Husathirn Mueri empfand dies als zugleich amüsant und ärgerlich.
    Natürlich war es durchaus in Ordnung, daß er einen Helm trug. Die meisten Bürger taten das jetzt, ohne Rücksicht darauf, ob sie wirklich Abkömmlinge des einstigen helmtragenden Stammes der Beng waren oder nicht. Curabayn Bangkea war immerhin Vollblut-Beng. Doch Husathirn Mueri, väterlicherseits selber ein Beng, während seine Mutter eine Koshmar war, fand denn doch, der Hauptmann der Wachen übertreibe das Prinzip über Gebühr.
    Er selbst legte auf Formalitäten keinen besonderen Wert. Ein Wesenszug, den er möglicherweise von seiner Mutter hatte, die eine freundliche umgängliche Frau war. Und außerdem konnten ihn Männer wie dieser Wachsoldat nicht weiter tief beeindrucken; Leute, die breitbeinig durchs Leben stampften und sich durch Körpermasse und protziges Gehabe Bahn brachen. Er selbst war von leichtem Körperbau, hatte eine schmale Taille und abfallende Schultern. Sein Pelz war schwarz und dicht, mit scharfen weißen Streifen an einigen Stellen und beinahe so seidig wie der einer Frau. Allerdings war seine körperliche Leichtigkeit trügerisch, er war schnell und gewandt, und sein Körper verfügte über eine raffiniert plötzliche Kraft – wie eine Peitsche (seine Seele im übrigen gleichfalls).
    »Nakhaba sei dir hold«, erklärte Curabayn Bangkea mit grandiosem Helmkopfneigen, als
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