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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel
Autoren: Willy Seidel
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konnte. Daß er sein Haus nicht mehr verließ, daran war ein neues Edikt des Marshalls schuld, das ihn auf seine eigene Straße beschränkte, wenn er sich Bewegung machen wolle.
    Sie war eine hübsche Allee auf dem Kamm eines Hügels und ein schmuckes Haus folgte dem anderen. Keines unterschied sich im Bauprinzip von seinem Nachbarn; denn alle hatten die Veranden nach vorn, einen Ziergarten davor mit englischem Rasen und hinten die weißgestrichene Garage.
    Warum ging er nicht hinaus und machte sich Bewegung? Auch die Aussicht war hübsch!
    Ein von Mais- und Weizenfeldern, kleinen Hainen und Kuhgeländen gesprenkeltes Tal eröffnete sich und verschwand dort unten im blauen Dunst des Fabrikenkranzes, in den Cincinnati gebettet liegt.
    Nach einer Seite hin glich dies wellige Terrain zuweilen dem Meer; denn es gab tief purpurne Sonnenuntergänge, die parallele Wolkenbänke beleuchteten, und in schönen Nächten trat der Mond dort, ohne durch Höhen verzögert zu werden, prächtig rötlich und oval hervor.
    Die Natur war üppig hier. Winde strichen, freiheitliche Winde aus allen Ecken des Himmels. Es war eine Gegend für Vögel und doch war sie ein Gefängnis, schlimmer als eine Zelle.
    So oft er heraustrat auf den betonierten Weg, wurde der Haß lebendig, als trete er in ein Hornissennest. Daß Steine an seinem Kopf vorüberschwirrten, merkte er schon gar nicht mehr. Es waren keine schweren Steine, die Verletzungen hervorrufen konnten, und sie prallten auch manchmal harmlos von seinem herabgezogenen Panamahut ab; denn Pleasant-Ridge wußte genau, daß in diesem Staate der Union etwaige Lynchjustiz peinlich auffallen werde und brüstete sich mit einer gewissen »traditionellen« Kultur. Auch verletzt man eine Sehenswürdigkeit, auf die man sich fast etwas zugute tat, nicht unnötigerweise. Dies war ihr Hunne und sie neckten ihn. Er lief Spießruten und das machte ihnen Spaß.
    Besonders das weibliche Element der liebenswürdigen Kolonie, das große politische Debatten, die die Gegend mit Gekreisch erfüllten, zu den Abendstunden auf Schaukelstühlen abhielt, wollte den Augenschmaus nicht vermissen; und es war eine fast schmerzliche Enttäuschung, als man bemerkte, daß Erwin es vorzog, eine Weile sein Haus nicht mehr zu verlassen. So konnte man sich wenigstens Mutmaßungen hingeben, was er drinnen treibe.
    Das bedauernswerte Geschöpf von einer Frau,die er da an sich gefesselt, diese so tief gesunkene Engländerin, die mit ihm hauste und für die bestgemeinte Sympathie so wenig Verständnis zeigte, die ließ man in Ruhe oder schickte höchstens mitleidige Schnalzlaute hinter ihr her. Sie hatte ja auch viel zu tun, das arme Geschöpf. Was in aller Welt konnte sie aber auch dazu bewegen, sich freiwillig in eine solche Situation zu begeben? Sie war selbst daran schuld gewissermaßen.
    Die Väter, die ringsum mit ihren halbwüchsigen Söhnen über den Landkarten jenes kuriosen Weltwinkels »Europa« brüteten, waren dankbar gegen das Schicksal, daß sie ihren Sprößlingen einen Hunnen in persona vorführen durften. Wenn etwa die Vorstellungsgabe der Knaben versagte, so wies man mit dem Finger durch das Fenster und sagte: »Stellt euch so etwas vor, zu hunderttausenden, dann habt ihr den Gegner. So sieht er aus. Ihr könnt ihm zu Leibe gehen, wenn der Krieg, was Gott verhüte, noch lang genug dauert; und wißt, was für eine Abart von Mensch euch entgegentritt.«
    Die Knaben dachten sich nicht »was Gott verhüte«, sondern: »Was Gott gebe.« – Denn das mußte ein milder und amüsanter Sport sein, solch schwerfällige und untrainierte Kreaturen, wie diesen Deutschen hier, zu Paaren zu treiben. Einstweilen konnte man sich ja schon darin üben, indem man ihn belästigte.
    Wenn man abends vor der Haustüre den dicken Fausthandschuh anzog und sich den Hartgummiballzuschleuderte, so war es ein guter Scherz, wenn man die Richtung des Balles auch einmal so lenkte, daß er Erwin an den Rücken flog, und im Chor schrie: »We beg your pardon« und mit frechen und kalten Gesichtern heranstob, um sich zu erkundigen, ob er mitspielen oder noch ein Weilchen stehenbleiben wolle, um zu verhindern, daß der Ball ins Tal hinunterfliege.
    Es waren harmlose blonde stupsnasige Jungen voll guter Instinkte, und Erwin mochte sie leiden. Aber wenn er sich früher auch in ein kleines Gespräch eingelassen und dafür ein scheues halbverlegenes Lächeln geerntet, er unterließ es jetzt; und sein müder glanzloser Blick sah durch sie hindurch wie
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