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Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)

Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
Autoren: Martin Hühn
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Minute später lag ihre Gegnerin auf dem Rücken. Sie hatte den Kampf gewonnen. Sowie die Französin ihren ersten Griff angesetzt hatte, existierte für Verena nichts anderes mehr als der Sport, der Augenblick. Für eine Minute war sie sicher gewesen.
    Nun wurde sie sich mit einem Mal ihrer Umgebung wieder bewusst. Die allgegenwärtige Bedrohung kehrte zurück. Die ersten Schritte gingen einigermaßen, doch kaum, dass sie von den Sicherheitsmatten herunter war, kam die Übelkeit zurück. Zuerst taumelte sie etwas, dann machten sich ihre Beine selbstständig und trugen sie zu den Damentoiletten, wo sie sich in ein ohnehin nicht gerade sauberes Waschbecken übergab. Sie schloss sich in eine versiffte Klokabine ein. Da sie keineswegs vorhatte, ihr Geschäft zu verrichten, war es ihr einerlei, dass es statt eines vernünftigen Klositzes eine im Boden eingelassene Keramikschüssel mit Abfluss und kotverschmierten Trittflächen an beiden Seiten gab. Sie kauerte sich möglichst weit entfernt von allen Oberflächen hin und heulte jämmerlich.
    Mein Abitur schaffe ich schon irgendwie. Irgendwie. Besser ein miserables Abi als keins. Dann finde ich irgendeinen Job. Nicht jeder Job ist total mies. Bestimmt kann ich auch noch manchmal trainieren. Wenn ich nur Karate zu meinem Beruf machen könnte. Wenn es sein muss, auch Judo. Aber dazu müsste ich Kampfsport unterrichten, und das kann ich auf keinen Fall. Außerdem machen das die meisten Trainer ehrenamtlich oder als Nebenjob.
     
    Verena war zwar im Begriff Abitur zu machen, doch gut war sie in der Schule nicht, war es niemals gewesen. Sie schaffte immer mit Biegen und Brechen, das Allernötigste hinzubekommen, mehr aber nicht. Erstaunlicherweise war sie selbst im Sportunterricht nicht herausragend. Die Lehrer hielten viel von Teamsportarten und dabei zu allem Überfluss von Ballsport. Das Eine war für Verena unangenehmer als das Andere.
    Ihre Mutter war überzeugt, dass Verenas Leistungsschwierigkeiten von ihrem nicht vorhandenen Selbstbewusstsein herrührten. Verena dagegen war überzeugt, es gäbe keinen Anlass, so etwas wie Selbstbewusstsein zu entwickeln, da sie darauf wegen mangelhafter Leistungen keinen Anspruch hätte. Viel schwerer wog das Fehlen jeder beruflichen Perspektive. Es gab einfach keine Berufe, für die sie qualifiziert gewesen wäre und die zugleich ihr Interesse weckten, ihr nicht wie eine Strafarbeit vorkamen. Einfache, praktische, handwerkliche Dinge lagen ihr einigermaßen. So etwas schien wiederum für ihre Eltern keine Option darzustellen, weshalb sie niemals ernsthaft gewagt hatte, zum Beispiel eine Maurerlehre in Erwägung zu ziehen. Wenn sich Verena selbst hätte beschreiben müssen, wären die Worte, die sie für am passendsten hielt, „nutzlos und wertlos“, gewesen. Sie hatte, nicht ganz unberechtigterweise, Angst vor der Zukunft und nun, da die Schulzeit unwiderruflich einem Ende entgegenging, wurde aus dieser latenten Angst langsam Panik, die sich eben auch in übersteigertem Lampenfieber ausdrückte.
     
    Sie versuchte, sich zu beruhigen und mit der Zeit ging es ihr tatsächlich besser. Seufzend schloss sie die Kabine auf und schlurfte in Richtung Turnhalle. Das Turnier dürfte jeden Augenblick zu Ende sein. Wenn sie nicht zum abschließenden, gemeinsamen Lauftraining zurück wäre, würde das peinlich auffallen.
     
    „Verena? Alles wieder in Ordnung? Du hast gut gekämpft.“
    Wie immer hatte ihr Trainer, Frank Schneider, bemerkt was los war und musste sie gleich an der Hallentür abfangen. „Ja, danke Herr Schneider“, murmelte sie.
    „Dann ab zum Laufen mit dir.“
    Schon waren die deutschen und französischen Vereine dabei, sich an der Startlinie herumzudrücken, anders als in den Judowettkämpfen Jungen und Mädchen gemischt. Unauffällig versuchte sie, sich dazu zu gesellen. „Wo warst du die ganze Zeit! Du hast das Gruppenfoto verpasst!“, empfing sie Maria halb flüsternd. „Du warst die Einzige aus unserem Team, die bisher gewonnen hat. Die Franzosen sind allesamt scheiß Ninjas. Wir haben uns total blamiert.“
    Maria erwartete nicht wirklich eine Antwort und das war gut. In diesem Moment ertönte ein scharfer Pfiff und die Judokas setzten sich in Bewegung.
    Nach wenigen Sekunden war klar, dass der Wettkampf vielleicht offiziell zu Ende war, doch inoffiziell keineswegs. Die französischen Teams legten von Anfang an ein Tempo vor, das zu einem lockeren Abschlusstraining nicht so recht passen wollte. Offenbar hatten sie
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