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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper
Autoren: Paolo Giordano
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gegessen haben. An den anderen Tischen wird man auf sie aufmerksam. «Das ist genau der Punkt! Die Richtige gibt es nicht.
Alle
sind richtig. Denn
alle
haben …» Er bezeichnet das Organ, indem er mit den Fingern einen Rhombus formt. «Jedenfalls, wenn du erst mal anfängst, wirst du merken, wie einfach das ist.»
    Cedernas Tonfall ärgert ihn ein bisschen. Er will kein Mitleid, aber die Worte des Freundes machen ihm auch Mut. Er schwankt zwischen Verärgerung und Dankbarkeit. Gern würde er ihn fragen, in welchem Alter er angefangen hat, aber er fürchtet die Antwort: Cederna ist zu aufgeweckt und auch zu gut aussehend, mit dieser breiten Stirn und diesem boshaften Lächeln über die ganze weiße Zahnreihe.
    «Du bist so groß wie ein Dinosaurier und lässt dich von den Weibern einschüchtern, verrückt.»
    «Schrei nicht so!»
    «Meiner Meinung nach ist das wegen deiner Mutter.»
    «Was hat denn meine Mutter damit zu tun?» Ietri knüllt das Tischtuch mit der Faust zusammen. Ein darin verborgener Mayonnaisebeutel platzt in seiner Hand.
    Cederna piepst mit hoher Stimme:
«Mami, Mamilein, was wollen alle diese Weiber von mir?»
    «Hör auf, das hören doch alle.» Er wagt nicht, den Freund um eine Serviette zu bitten, und wischt die Hand an der Stuhlkante ab. Mit einem Finger berührt er etwas, das an der Unterseite klebt.
    Zufrieden verschränkt Cederna die Arme, während Ietri immer finsterer wird. Mit der nassen Unterseite des Bierglases zeichnet er Kreise auf den Tisch.
    «Mach jetzt nicht so ein Gesicht.»
    «Was denn für ein Gesicht?»
    «Du wirst sehen, du findest schon eine Dumme, die die Beine für dich breit macht. Früher oder später.»
    «So viel liegt mir gar nicht dran.»
    «Bald sind wir im Einsatz. Es heißt, einen besseren Ort gibt es nicht. Die Amerikanerinnen sind rattenscharf …»
     
    Vor dem Abflug bekommen die Jungs ein Wochenende frei, und fast alle verbringen es mit ihren jeweiligen Freundinnen, die auf die verrücktesten Ideen kommen, wie ein Picknick am See oder eine Ladung Liebesfilme, wo doch die Soldaten im Hinblick auf die kommenden Monate der Abstinenz hauptsächlich daran interessiert sind, Sex aufzutanken.
    Ietris Mutter kommt mit dem Nachtzug von Torremaggiore nach Belluno. Gemeinsam machen sie ein paar Besorgungen in der Stadt, dann gehen sie in die Kaserne, er schläft in einem Achtbettzimmer, wo es unaufgeräumt und sehr heiß ist. Das entgeht ihr nicht, und sie bemerkt: «An alldem ist nur die Arbeit schuld, die du dir ausgesucht hast. Bei den Möglichkeiten, die du hattest, intelligent, wie du bist.»
    Der Obergefreite ist genervt und muss hinausgehen, er erfindet eine Ausrede und flüchtet sich in eine Ecke des Platzes zum Rauchen. Als er wieder hereinkommt, sieht er die Mutter, wie sie das Foto von seinem Gelöbnis ans Herz drückt. «Ich bin doch noch nicht tot», sagt er.
    Die Frau reißt die Augen auf. Sie verpasst ihm eine schallende Ohrfeige. «Sag so etwas nie wieder. Unglücksmensch.»
    Um jeden Preis will sie sich um sein Gepäck kümmern. («Mama weiß ja, dass du alles vergisst.») Ietri döst vor sich hin, während er ihr zuschaut, wie sie die Kleidungsstücke andächtig auf dem Bett ausbreitet. Ab und zu schweift er ab und kehrt in Gedanken zurück zu den Amerikanerinnen. Er überlässt sich einem erregenden Halbschlaf, der Speichel läuft aufs Kissen.
    «In der Seitentasche sind die Feuchtigkeitscreme und die Seifen, eine mit Lavendel, die andere parfümfrei. Fürs Gesicht verwendest du am besten die parfümfreie, du hast eine empfindliche Haut. Ich habe auch Kaugummi hineingetan, für den Fall, dass du dir die Zähne mal nicht putzen kannst.»
    In der Nacht teilen sie ein Doppelbett in einer menschenleeren Pension, und Ietri wundert sich, dass es ihm nicht peinlich ist, neben seiner Mutter zu schlafen, auch wenn er jetzt ein Mann und schon lang von zu Hause fort ist. Er findet es nicht einmal komisch, als sie seinen Kopf zu sich herüberzieht, ihn an ihren weichen Busen unter dem Nachthemd drückt, und ihn so festhält, ihrem kräftigen Herzschlag zu lauschen, bis er einschläft.
    Das Zimmer wird in Abständen erhellt von den Blitzen des Gewitters, das nach dem Abendessen ausgebrochen ist, und der Körper der Mutter zuckt bei den Donnerschlägen zusammen, als würden sie sie aus ihren Träumen aufschrecken. Es ist elf Uhr vorbei, als Ietri aus dem Bett schlüpft. Im Dunkeln leert er die Seitentasche des Rucksacks und wirft alles in den Abfalleimer, steckt
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