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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit
Autoren: W. Somerset Maugham
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schlüpfte aus dem Zimmer. Mr.   Carey war nicht an Arbeit gewöhnt und kehrte nur widerstrebend zu seiner Korrespondenz zurück. Auf der einen Seite des Schreibtisches lag ein Bündel Rechnungen, und diese erregten seinen Unwillen. Eine erschien ihm besonders unsinnig. Gleich nachdem Mrs. Carey gestorben war, hatte Emma für das Zimmer, in dem die Tote lag, Unmengen von weißen Blumen kommen lassen. Das war hinausgeworfenes Geld, nichts weiter. Emma war ihm viel zu eigenmächtig. Selbst unter günstigeren finanziellen Umständen hätte er sie entlassen.
    Aber Philip lief zu ihr hin, barg sein Gesicht an ihrer Brust und weinte, als wollte ihm das Herz brechen. Und sie, die ihn liebte wie ihr eigenes Kind – sie hatte ihn übernommen, als er einen Monat alt war –, tröstete ihn mit zärtlichen Worten. Sie versprach, ihn manchmal zu besuchen und ihn niemals zu vergessen; und sie erzählte ihm von dem Haus auf dem Lande, in dem er nun wohnen würde, und von ihrer eigenen Heimat in Devonshire – ihr Vater hatte eine kleine Wirtschaft an der Straße nach Exeter, und in den Ställen waren Schweine, und eine Kuh war da, und die Kuh hatte gerade ein Kälbchen bekommen –, bis Philip seinen Kummer vergaß und ganz aufgeregt wurde bei dem Gedanken an die bevorstehende Reise. Nach einer Weile stellte sie ihn wieder auf den Boden, denn es gab viel zu tun, und er half ihr, seine Anzüge aufs Bett zu legen. Sie schickte ihn ins Kinderzimmer, damit er seine Spielsachen einsammelte, und es dauerte nicht lange, bis er tief ins Spiel versunken war.
    Aber schließlich wurde er des Alleinseins müde und kehrte ins Schlafzimmer zurück, wo Emma seine Sachen in einen großen Koffer packte; ihm fiel ein, dass sein Onkel ihm erlaubt hatte, etwas zur Erinnerung an seine Eltern mitzunehmen. Er erzählte es Emma und fragte sie um Rat.
    »Geh ins Wohnzimmer und such dir etwas aus.«
    »Onkel William ist dort.«
    »Das macht nichts. Die Sachen gehören jetzt alle dir.«
    Philip stieg zögernd die Treppe hinab und fand die Tür offen. Mr. Carey hatte das Zimmer verlassen. Philip ging langsam darin umher. Sie hatten erst so kurze Zeit in dem Haus gewohnt, dass er nur an wenigen Dingen hing. Für ihn war es ein fremdes Zimmer, und Philip sah nichts, was seine Aufmerksamkeit erregte. Aber er wusste, welche Sachen seiner Mutter und welche dem Vermieter gehört hatten, und er entschloss sich nach einer Weile für eine kleine Uhr, die sie gern gehabt hatte. Mit dieser Uhr stieg er ziemlich verzagt wieder die Treppe hinauf. Vor der Tür, die zum Schlafzimmer seiner Mutter führte, blieb er stehen und horchte. Obgleich ihm niemand verboten hatte hineinzugehen, hatte er doch das Gefühl, dass es falsch wäre; er hatte ein wenig Angst, und sein Herz klopfte laut, aber gleichzeitig zwang ihn irgendetwas, die Klinke niederzudrücken. Er tat es sehr leise, um von niemandem gehört zu werden, und stieß dann langsam die Tür auf. Einen Augenblick lang blieb er auf der Schwelle stehen, dann erst wagte er einzutreten. Er hatte nun keine Angst mehr, aber es war ihm seltsam zumute. Er schloss die Tür hinter sich. Die Jalousien waren herabgelassen, und das Zimmer lag dunkel in dem kalten Licht des Januarnachmittags. Auf dem Toilettentisch waren Mrs.   Careys Bürsten und ihr Handspiegel. In einer kleinen Schale lagen ein paar Haarnadeln. Auf dem Kaminsims standen zwei Fotografien, von denen die eine ihn selbst, die andere seinen Vater darstellte. Er war früher häufig in Abwesenheit seiner Mutter in diesem Zimmer gewesen, aber nun schien es ihm verändert. Die Stühle sahen so sonderbar aus. Das Bett war gemacht, als ob diese Nacht jemand darin schlafen sollte, und in einem Futteral auf dem Kissen lag ein Nachthemd. Philip öffnete einen großen Schrank, der voller Kleider hing, stieg hinein, umfasste mit den Armen, so viele er halten konnte, und vergrub sein Gesicht darin. Sie rochen nach dem Parfüm, das seine Mutter getragen hatte. Dann öffnete er die Schubladen, die mit den Sachen seiner Mutter angefüllt waren, und betrachtete sie: Zwischen der Wäsche lagen Lavendelsäckchen, und ihr Duft war frisch und angenehm. Das Zimmer hatte nun nichts Fremdes mehr, und es schien ihm, als wäre seine Mutter nur ausgegangen. Bald würde sie wieder zurück sein und zu ihm heraufkommen, um im Kinderzimmer mit ihm Tee zu trinken. Und er meinte, ihren Kuss auf seinen Lippen zu spüren.
    Es war nicht wahr, dass er sie nie mehr wiedersehen würde. Es war nicht wahr,
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