Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita
Autoren: Michail Bulgakow
Vom Netzwerk:
ihn nicht zum Krüppel." Alle, außer dem reglosen Prokurator, blickten Marcus Rattenschlächter nach, als er dem Gefangenen mit einem Wink bedeutete, ihm zu folgen.
    Überhaupt blickte man ihm stets nach, wo immer er sich zeigte, seines Riesenwuchses wegen, und wer ihn zum erstenmal. sah, tat es auch deshalb, weil sein Gesicht verunstaltet war: Einst hatte eine Germanenkeule ihm die Nase zertrümmert. Die schweren Stiefel des Marcus krachten über das Mosaikpflaster, der Gefesselte ging lautlos hinter ihm her, im Säulengang trat völliges Schweigen ein, und es war zu hören, wie die Tauben auf der Gartenterrasse gurrten und das Wasser im Springbrunnen sein melodisches, versonnenes Lied sang. Der Prokurator wäre am liebsten aufgestanden und hätte die Schläfe unter den Wasserstrahl gehalten. Allein, er wußte, das würde ihm nicht helfen.
    Marcus Rattenschlächter führte den Gefangenen aus dem Säulengang in den Garten, nahm dem Legionär, der zu Füßen einer Bronzestatue stand, die Peitsche aus der Hand und schlug sie, ohne sonderlich auszuholen, dem Arrestanten um die Schultern. Seine Bewegung war leicht und lässig, aber der Gefesselte stürzte sofort zu Boden, als habe man ihm die Beine abgehauen, schnappte nach Luft, jegliche Farbe wich ihm aus dem Gesicht, und seine Augen blickten irr. Nur mit der linken Hand, leicht wie einen leeren Sack, hob Marcus den Gestürzten hoch, stellte ihn auf die Füße und sagte näselnd mit schlechter Aussprache der aramäischen Wörter:
    "Der römische Prokurator ist mit Hegemon anzureden. Keine anderen Wörter sagen. Stillstehen. Hast du mich verstanden, oder soll ich dich schlagen?"
    Der Gefangene wankte, doch er riß sich zusammen, die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, er holte tief Atem und antwortete heiser:
    "Ich habe dich verstanden. Schlag mich nicht." Gleich darauf stand er wieder vor dem Prokurator. Matt, krank klang dessen Stimme: "Name?"
    "Mein Name?" fragte der Gefangene eilig, und sein ganzes Wesen zeigte die Bereitschaft, vernünftig zu antworten, um keinen Zorn mehr zu erregen.
    "Meiner ist mir bekannt", sagte der Prokurator leise. "Stell dich nicht dümmer, als du bist. Den deinen will ich wissen." ,Jeschua", antwortete der Gefangene hastig.
    "Hast du einen Beinamen?"
    ,Ja. Ha-Nozri."
    "Woher bist du gebürtig?"
    "Aus der Stadt Gamala", antwortete der Gefangene und deutete mit einer Kopfbewegung an, daß dort, rechts von ihm, weit im Norden, die Stadt Gamala liege. "Von wem stammst du ab?"
    "Das weiß ich nicht genau", antwortete der Gefangene lebhaft. "Ich kann mich meiner Eltern nicht erinnern. Man hat mir gesagt, mein Vater sei ein Syrer gewesen ..." "Wo bist du zu Hause?"
    "Ich habe kein Zuhause", antwortete der Gefangene schüchtern, "ich ziehe von Stadt zu Stadt."
    "Das hättest du auch mit einem Wort sagen können: Du bist ein Landstreicher", sagte der Prokurator und fragte dann. "Hast du Verwandte?"
    "Ich habe niemanden. Ich bin allein auf der Welt." "Kannst du lesen und schreiben?"
    "Ja"
    "Beherrschst du noch eine Sprache außer der aramäischen?" ,Ja. Die griechische."
    Eines der geschwollenen Lider hob sich, ein vom Schmerz verschleierter Blick heftete sich auf den Gefangenen. Das andere Auge blieb geschlossen. Pilatus sagte auf griechisch:
    "Also du hattest die Absicht, den Tempel zu zerstören, und hast das Volk dazu aufgewiegelt?"
    Der Arrestant wurde wieder lebhaft, seine Augen zeigten keine Furcht mehr, und er sagte ebenfalls auf griechisch: "Nie im Leben, gu ..." Entsetzen flirrte in seinen Augen, da er sich beinahe versprochen hätte. "Nie im Leben, Hegemon, habe ich die Absicht gehabt, den Tempel zu zerstören, und ich habe auch niemanden zu solch sinnlosem Tun angestiftet." Verwunderung trat in das Gesicht des Sekretärs, der gebückt über dem niedrigen Tisch saß und die Aussagen notierte. Er hob den Kopf, senkte ihn aber sofort wieder aufs Pergament. "Mannigfaltige Menschen strömen zum Pessachfest in diese Stadt. Unter ihnen sind Magier, Astrologen, Wahrsager und Mörder", sprach der Prokurator monoton, "es sind aber auch Lügner unter ihnen. Du zum Beispiel bist ein Lügner. Da steht es deutlich geschrieben: Er hat das Volk aufgewiegelt, den Tempel zu zerstören. So bezeugen es die Menschen." "Diese guten Menschen", sagte der Arrestant, fügte eilig "Hegemon" hinzu und fuhr fort: "... haben nichts begriffen und verwirren alles, was ich gesagt habe. Ich fange an zu befürchten, daß diese Verwirrung noch sehr lange währen wird.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher