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Der Mann, der nicht geboren wurde

Der Mann, der nicht geboren wurde

Titel: Der Mann, der nicht geboren wurde
Autoren: Tobias O. Meißner
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wenden?
    Der Gedanke, zu Naenn, ihrem Kind und Cajin in den Larnwald zu
gehen, war verlockend, zumal er dann Gelegenheit haben würde, zum ersten Mal in
seinem Leben den sagenumwobenen Schmetterlingshain zu erblicken und zu
betreten. Doch Naenn, Nemialé und Cajin waren dort in Sicherheit und brauchten
ihn nicht.
    Hellas brauchte ihn, doch diesen mitten aus der Gardestadt Endailon
zu befreien, war schlicht ein Ding der Unmöglichkeit.
    Blieb also nur noch Bestar. Mit dem Klippenwälder – das fühlte
Rodraeg – stand und fiel die Gruppe namens Mammut .
Bestar war das Herz. Er durfte nicht verloren gehen.
    Wie Rodraeg ihn einschätzte, war Bestar nicht in die Klippenwälder
oder woandershin geflohen, sondern auf möglichst schnellem Wege zu den Riesen.
Sich dorthin zu wenden war auch für Rodraeg sinnvoll, waren doch die Riesen
jetzt nach der Zerschlagung des Kreises abgesehen von
den Schmetterlingsmenschen die mächtigsten Verbündeten, die das Mammut auf dem Kontinent noch besaß. Die Ritterin und ihre
kleine Bande waren ebenfalls dort. Vielleicht konnte man aus denen ja doch noch
etwas anderes formen als hübsch anzusehende Wegelagerer. Vielleicht würde sich
sogar Gerimmir, der ohnehin ein Freund der Riesen war, in diese Richtung
wenden, nun, da die Hauptstadt für ihn verloren war. Dann konnte man dort, in
den verborgenen Höhlen des Wildbarts, besser als irgendwo sonst eine neue
stoßzahnbewehrte Zukunft schmieden.
    Zu den Riesen also! Auf dem Fluss oder nebenher.
    Und unterwegs würde Rodraeg dann endlich Zeit finden, die vielen,
vielen Toten angemessen zu betrauern.

Epilog
    Der Thostwald lag ruhig und
still und ohne Wind.
    Die Bäume begannen erst zu rauschen
und zu raunen, sich unruhig zu bewegen und einander Warnungen zuzuhauchen, als
Raukar aus den Schatten trat und den Bienenmann an der Schulter berührte.
    Der Bienenmann, der eingenickt gewesen war, fuhr auf. »Raukar!
Endlich … bist du wieder da! Ich habe die ganze Zeit Wache gehalten, bei den
Brunnen, bei jedem einzelnen von ihnen, aber nichts hat sich ereignet, und ich
mag den Wald und die Tiere nicht mehr, es gibt so viele Insekten, die mir
Fragen stellen und voller Unverständnis sind, dass …«
    Â»Beruhige dich. Jetzt wird ja alles gut. Der Meister ist tot.«
    Â»Der … Meister? Tot? Aber … aber … aber was soll … denn aus uns
werden?«
    Für einen Moment schien Raukars Gesicht sich zu verflüssigen, zu
einer geschmolzenen Fratze zu werden, doch dann hatte er sich wieder in der
Gewalt und setzte sogar ein schmallippiges Lächeln auf. »Er war doch ohnehin
ein Narr. Wie lange hätte ich ihm denn noch dienen können, bevor ich zu alt und
schwach geworden wäre, etwas zu bewirken? In zwölf Jahren noch einmal, in
vierundzwanzig Jahren möglicherweise auch noch, aber in sechsunddreißig auf gar
keinen Fall mehr. Er hat nicht richtig nachgedacht. Oder er hielt mich für
austauschbar, und es machte ihm nichts aus, mich verfallen zu sehen. Nun, mein
Freund, ich habe jedoch meine eigenen Ziele, und dazu brauchte ich ihn nur noch
dieses eine Mal, um ihm seine letzten Geheimnisse abzuschauen.«
    Â»Hast du ihn … hast du ihn umgebracht?«
    Â»Ach, was! Vollkommen unnötig! Alles, was ich getan habe, war, einen
Magier namens Leribin zu verschonen. Ich nahm ihm vor seinen Augen die Frau,
die er früher liebte, und attackierte ihn mit der Weichheit eines erbärmlichen
Weibes. So brachte ich ihn dazu, alles in die Waagschale zu werfen und sich
selbst und den Meister in den Untergang zu reißen. Es war – verstehst du? – ein
gar reizendes Puppenspiel, bei dem ich die Fäden in der Hand hielt.«
    Â»Und nun? Was sollen wir jetzt machen?«
    Â»Ich habe einen Traum. Den träume ich schon lange, seit ich ein
kleines Kind war. Ich möchte den Schmetterlingshain vernichten, die gleißendste
Bastion der hilfreichen Herzensgüte, der Naturverbundenheit und der steifen und
eingebildeten Rechtschaffenheit auf unserem lästerlichen Kontinent. Ich möchte
Nägel treiben durch sämtliche Schmetterlinge, alle Bäume des Larnwaldes Blut
weinen lassen und die höhnischen Blicke der Götter blenden mit echtem,
aufrichtigen Schmerz! Ich möchte König sein, ohne eine Krone tragen zu müssen,
herrschen über nichts als den Zerfall der Zeiten und Gefühle – und
Verantwortung tragen für noch weniger
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