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Der Mann, der Donnerstag war

Der Mann, der Donnerstag war

Titel: Der Mann, der Donnerstag war
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Verdauung – zum Beispiel – daß die fein still und wie fromm vor sich geht: das ist die Grundlage aller Poesie. Ei ja, die poetischste Sache, poetischer als alle Blumen sind und poetischer als alle Sterne, die poetischste Sache von der Welt ist: ... nicht krank sein.« »Wahrhaftig«, sprach Gregory da hochnäsig, »die Beispiele, so Sie zu wählen belieb –«
    »Bitt um Verzeihung«, tat Syme grimmig, »aber ich vergaß ganz, daß wir alle und jede Konvention perhorresziert hatten.«
    Und da wardst du einen brennroten Fleck gewahr auf Gregorys Stirn ...
    »Sie scheinen mir demnach nicht zu glauben«, sagte er, »daß ich, diesem Gesetz zufolge, die bürgerliche Gesellschaft umwälze?«
    Syme schaute ihm dreist ins Gesicht und lächelte süß:
    »Nein«, sagte er, »absolut nicht«, sagte er, »außer ... ich meine ... außer es wäre Ihnen ernst um Ihren Anarchismus: dann ja ... dann ...«
    Gregorys ungeheure Glotzaugen leuchteten plötzlich wie bei einem zornigen Löwen auf – und dir mochte beinah scheinen, als ob seine rote Mähne sich sträubte.
    »Sie glauben also nicht«, fuhr ein Drohen und Dräuen in seine Stimme, »daß es mir ernst um meinen Anarchismus ist?«
    »Bitte?« sagte Syme.
    »Mir nicht ernst um meinen Anarchismus?« schrie Gregory und ballte seine knotigen Fäuste.
    »Lieber, verehrter Kollege!« sagte Syme – und verließ ihn.
    Ueberrascht, aber auch voller Neugierde und Vergnügen bemerkte er da, daß Rosamond Gregory mit ihm ging.
    »Mr. Syme«, sprach sie, »meinen die Leute, die so wie Sie und mein Bruder reden, meinen die oft auch wirklich, was sie sagen? Meinen Sie denn, was Sie jetzt sagen?«
    Syme lächelte:
    »Wie meinen Sie?«
    »Was meinen Sie?« fragte das Mädchen ... und Ihre Augen waren tief ...
    »Meine teuere Miß Gregory«, sagte Syme verbindlich, »es gibt Aufrichtigkeit und es gibt Unaufrichtigkeit. Es gibt aber auch solche Aufrichtigkeit und solche – und solche Unaufrichtigkeit und andere. Wenn Sie für das Salzfaß etwa ›danke‹ sagen: meinen Sie da auch, was Sie sagen? Nein. Wenn Sie sagen: ›die Welt ist rund‹: meinen Sie da auch, was Sie sagen? Nein. Es ist allemal etwas Wahres; – aber Sie meinen es nicht. Nun denn: ein Mann wie Ihr Bruder findet zuweilen in der Tat ein Ding, das er meint. Es braucht nur ein halbwahr, viertelwahr, zehntelwahr Ding zu sein; aber dann sagt er mehr als er meint – vor lauter Meinen-müssen.«
    Sie sah ihn, unter wagrecht eingestellten Brauen hervor, an. Tief und offen lag ihr Antlitz da, überschattet von dem Schatten jenes vernunftlosen Verantwortlichkeitsgefühls, das die Seele selbst des leichtfertigsten Frauenzimmers noch ausmacht: jenes Bemuttern-müssen um jeden Preis, das so alt ist wie die Welt selber.
    »Ist er also wahrhaftig ein Anarchist?« fragte sie. »Nur in jenem Sinn, von dem ich Ihnen sprach«, antwortete Syme, »oder wenn Sie lieber wollen – in jenem Unsinn.«
    Sie zog die breiten Augenbrauen zusammen und sagte abrupt:
    »Er würde nie wirklich Bomben schmeißen oder so was –«
    Brach Syme in ein groß Lachen aus, das viel zu groß war für sein kleines einigermaßen stutzerhaftes Gesicht.
    »Herr Jesus, nein!« sagte er, »es müßten denn Fruchtbonbons sein.«
    Danach formte sich in den Winkeln ihres Mundes gleichfalls ein Lächeln ... und sie erinnerte sich mit einem zwiefachen Vergnügen teils an Gregorys Ungereimtheiten, teils an sein Wohlergehen ...
    Und dann steuerte Syme mit ihr auf eine Sitzgelegenheit los, in einer Ecke des Gartens, und hub neu an, von seinen Meinungen zu verbreiten. Denn er war ein aufrichtiger Bursche, und ohngeachtet seines oberflächlichen Gebarens und Kokettierens im Grunde ein bescheidener Junge.
    Und es ist immer der Bescheidene, der zuviel redet; der Hoffärtige, der überwacht sich selber viel zu sehr. Also verteidigte er die Respektabilität mit Ungestüm und manniger Uebertreibung. Und wurde hitzig im Rühmen von Nettigkeit und Anstand. Und all die Zeit schwamm Fliederduft um ihn ... Mit einmal hörte er sehr schwach von fernher aus einer Straße, daß eine Drehorgel zu singen anhub, und es war ihm, als ob seine heroische Rede eine liebliche Weise gebar von unter oder außer der Welt her ...
    Und er sah sie an und er sang zu ihr: zu ihrem roten Haar und zu ihrem amüsierten Gesicht – minutenlang wohl. Aber dann, wie ihm einfiel, daß es doch nicht schicklich wäre an einem solchen Ort, ein Plaudergrüppchen auf so lange auszudehnen – da sprang er auf.
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