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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman
Autoren: Ken Follett
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an, und Waiden bat ihn, Platz zu nehmen. Waiden war nicht zu Plaudereien aufgelegt; er war ungeduldig und wollte wissen, was all dieser Wirbel zu bedeuten hatte.
    Churchill begann: »Zuerst einmal bitte ich Sie, auch im Namen des Königs, um Verzeihung, daß ich mich Ihnen aufgedrängt habe.«
    Waiden nickte, verzichtete aber auf die Bemerkung, es mache ihm nichts aus.
    Churchill fuhr fort: »Ich könnte hinzufügen, daß ich es nicht getan hätte, wenn es nicht sehr dringlich wäre.«
    »Dann sagen Sie mir lieber gleich, um was es sich handelt.«
    »Wissen Sie, was gegenwärtig auf dem Geldmarkt geschieht?«
    »Ja. Der Diskontsatz ist gestiegen.«
    »Von eindreiviertel auf etwas unter drei Prozent. Ein enormer Anstieg, und das innerhalb von wenigen Wochen.«
    »Ich nehme an, Sie wissen, warum.«
    Churchill nickte. »Deutsche Firmen haben in ganz großem Maße Schulden eingetrieben, Bargeld aufgehäuft und Gold gekauft. Noch ein paar Wochen wie diese, und Deutschland wird alle Außenstände aus anderen Ländern einkassiert haben. Es wird seine eigenen Schulden offenstehen lassen – und dann werden seine Goldreserven höher sein als je zuvor.«
    »Die Deutschen bereiten sich auf den Krieg vor.«
    »Auf diese und andere Art. Sie haben über die normalen Steuern hinaus eine Milliarde eingetrieben, um ihre Armee, die bereits die stärkste in Europa ist, noch mehr aufzurüsten. Sie werden sich erinnern, daß es im Jahre 1909, als Lloyd George die britischen Steuern um fünfzehn Millionen Pfund erhöhte, beinahe zu einer Revolution gekommen ist. Aber eine Milliarde Mark entspricht fünfzig Millionen Pfund. Es ist der höchste Steueraufwand in der Geschichte Europas …«
    »Gewiß«, unterbrach ihn Waiden. Churchill war im Begriff, theatralisch zu werden, aber Waiden wollte sich keine weitschweifigen Reden anhören. »Wir Konservativen machen uns schon seit langem über den deutschen Militarismus Sorgen. Und jetzt, kurz vor zwölf, erzählen Sie mir, daß wir recht haben.«
    Churchill ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
    »Deutschland wird Frankreich angreifen, das ist so gut wie sicher. Die Frage ist, ob wir Frankreich zu Hilfe kommen werden.«
    »Nein«, erwiderte Waiden überrascht. »Der Außenminister hat uns versichert, daß wir Frankreich gegenüber keine Verpflichtungen haben .«
    »Sir Edward hat es natürlich ehrlich gemeint« sagte Churchill. »Aber er hat sich geirrt. Unser Bündnis läßt es nicht zu, daß wir untätig zusehen, wie Frankreich von Deutschland besiegt wird.«
    Waiden war entsetzt. Die Liberalen hatten alle – auch ihn – überzeugt, daß sie England aus dem Krieg heraushalten würden, und jetzt behauptete einer ihrer führenden Minister das Gegenteil. Die Doppelzüngigkeit der Politiker konnte ihn zur Raserei bringen. Viel schlimmer noch waren die Folgen eines solchen Krieges. Er dachte an die jungen Leute aus seiner Umgebung, die eingezogen werden würden: die geduldigen Gärtner in seinem Park, die frechen Diener, die sonnengebräunten Bauernjungen, die aufsässigen Gymnasialschüler, die Müßiggänger in den Clubs von St. James …
    Viele ernüchternde Gedanken gingen ihm durch den Kopf, ehe er fragte: »Können wir den Krieg gewinnen?«
    Churchill machte ein ernstes Gesicht. »Ich glaube nicht.«
    Waiden starrte ihn an. »Zum Teufel, was haben Sie und Ihre Regierung getan?«
    Churchill ging in die Defensive. »Es war unsere Politik, den Krieg zu vermeiden, aber das kann man nicht, indem man sich gleichzeitig bis an die Zähne bewaffnet.«
    »Es ist Ihnen also nicht gelungen, den Krieg zu vermeiden.«
    »Wir versuchen es noch.«
    »Aber Sie glauben nicht, daß es gelingen wird.«
    Churchill sah ihn einen Augenblick herausfordernd an, schluckte dann jedoch seinen Stolz hinunter. »So ist es.«
    »Und was wird nun geschehen?«
    »Falls England und Frankreich gemeinsam nicht in der Lage sind, Deutschland zu besiegen, brauchen wir einen dritten Verbündeten: Rußland. Wenn Deutschland an zwei Fronten kämpfen muß, können wir gewinnen. Die russische Armee ist zwar schlecht ausgerüstet und korrupt, wie alles in diesem Lande – aber das macht nichts, solange sie einen Teil der deutschen Streitkräfte bindet.«
    Churchill wußte sehr wohl, daß Lydia Russin war, und es entsprach der für ihn typischen Taktlosigkeit, daß er ihr Land in ihrer Gegenwart verunglimpfte. Waiden ließ es indes geschehen, denn was Churchill sagte, interessierte ihn zu sehr. »Rußland ist ja bereits mit
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