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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter
Autoren: Åke Edwardson
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nicht ganz klar, ob es die Antwort auf seine Frage war oder etwas anderes bedeutete. Barkner wirkte jetzt ruhiger, fast resigniert. Als hätte er sich mit seinem Schicksal abgefunden, aber es war kein Schicksal. Es war die Tat eines Menschen. Die man nicht auf das Schicksal schieben, an das man nicht einfach die Verantwortung abgeben konnte. Es war eine entsetzliche Tat. Eine schlimmere gab es nicht.
    »Haben Sie im Lauf des Abends telefoniert?«
    »Nur mit Madeleines Mutter. Madeleine hat mit ihr gesprochen.« Barkner schaute auf. »Wissen … sie es? Wissen sie es schon?«
    »Wer?«, fragte Edlund.
    »Ihre Eltern natürlich. Wissen sie, dass Madeleine … tot ist?«
    »Bald erfahren sie es«, sagte Edlund.
    »Herrgott.« Barkner verbarg sein Gesicht in den Händen. Dann sah er wieder auf. »Wie können Sie nur?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wie zum Teufel halten Sie das aus? Mit diesem … mit dem Tod! Mit all den Toten! Wie ertragen Sie es, sich Tag für Tag mit dem Tod zu beschäftigen?!«
    »Wir sind ja nicht die Mörder«, sagte Edlund nach einem kurzen Moment.
    Erik Winter ließ Steine über die Wasseroberfläche hüpfen. Ein-, zwei-, drei-, viermal. Das Wasser war ein Spiegel des Himmels, und der Stein hüpfte in dem wunderbaren Blau davon. In der diesigen Herbstsonne verschwamm der Horizont über den südlichen Schären. Oder Wintersonne. Wann kam der Winter? In diesem Moment, ein unsichtbarer Übergang wie das Bild, das er vor sich sah. Es war nicht genau zu erkennen, wo das Meer endete und der Himmel begann.
    »Ich will auch!«, rief Elsa.
    »Wir brauchen mehr flache Steine«, sagte Winter.
    »Ich such welche!«, rief die Siebenjährige.
    »Guck mal da hinten, hinter dem Felsen.«
    Er zeigte zu dem Felsen. Angela und Lilly waren schon auf dem Weg dorthin. Die kleine Lilly wollte auch flache Steine sammeln. Sie wollte auch werfen.
    »Was ist dein Rekord, Papa?«
    »Daran kann ich mich nicht genau erinnern.«
    »Hast du es schon zehnmal geschafft?«
    »Nein, so oft nicht.«
    »Wieso können Steine überhaupt auf dem Wasser hüpfen?«
    »Die Wasseroberfläche kann hart sein.«
    »Aber der Stein ist doch viel härter?«
    »Nicht immer.«
    »Warum nicht?«
    Ja, warum nicht? Wieso schwimmt die Fähre der Stena-Line auf dem Wasser? Warum schwamm die »Titanic« auf dem Wasser, bevor sie versank? Wieso kann sich ein Flugzeug von einer Wasseroberfläche erheben? Wieso sagte man, es habe einen Mann gegeben, der über das Wasser gehen konnte?
    »Man braucht einen flachen Stein«, sagte Winter. »Wenn er die richtige Geschwindigkeit hat, kann er übers Wasser hüpfen. Dann fliegt er fast über das Wasser.«
    »Ich hab mal drei Hüpfer geschafft«, sagte Elsa.
    »Ich glaube, es waren sogar vier«, sagte Winter.
    »Ich kann dich schlagen!«, sagte sie.
    »Klar kannst du das, Schätzchen.«
    »Ich hol mehr Steine.«
    Er sah sie durch den Sand laufen. Es war ihr Sand. Es war ihr Strand, ein kleines Grundstück zwischen Billdal und Kullavik. Vor einigen Jahren hatte er die Chance gehabt, es günstig zu erwerben, inzwischen war es ein Vermögen wert. Damals hatten zwischen den Klippen überwiegend Sommerhäuschen gestanden, aber jetzt kroch die Besiedlung immer näher. Billdal war zu einer kleinen Ortschaft angewachsen, die offenen Felder waren verschwunden, bedeckt mit Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen. Kullavik hatte ein Einkaufszentrum. Die Leute bauten ihre Häuser von Haga kile bis Maleviksviken so nah am Meer, wie es eben erlaubt war. Dagegen war nichts einzuwenden. Wenn Winter auf seinem Grundstück stand, sah er keine Nachbarn, nur Felsen, Meer und Sand, aber manchmal trug der Wind Geräusche herüber, die es vorher nicht gegeben hatte. Die Stille war nicht mehr die gleiche.
    Sie hatten aufgehört, von dem Haus zu sprechen, das hier hätte stehen sollen. Elsa hatte aufgehört zu fragen. Für sie war es ihr Strand, mehr nicht. Für Lilly war alles selbstverständlich. Vielleicht war es selbstverständlich. Ein eigener Strand, das war doch etwas. Warum ihn mit einem Haus verschandeln.
    Er sah, wie Elsa sich in halber Höhe des Felsens aufrichtete.
    »Was ist das da, Papa?«
    Ihre helle Stimme kam wie ein flacher Stein über den Strand gehüpft. Er sah sie auf das Meer zeigen und folgte dem Blick seiner Tochter zum Horizont, der sich jetzt schärfer abzeichnete, nachdem die Sonne stärker geworden war. Er sah die Holme und Schären in der Bucht und die Kontur von Vrångö. Im Augenblick waren keine Boote
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