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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer
Autoren: Christian von Aster
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es schien, als könne man sich mit ihr die Pulsadern aufschneiden.
    »Er will ihn lehren«, mischte sich ruhig und bedacht die Stimme eines weiteren ein.
    »Einen Knaben!«, wisperte eine dritte, wärmer als die beiden zuvor, eher weiblich klingend.
    »Von niederem Blut …«, kristallisierte sich zuletzt der Gedanke des vierten Großmeisters aus der Schwärze. Brüchig klang es und alt, wie von einem Greis gedacht.
    »Du kannst die Reihe seiner Ahnen bis in die Steinzeit abschreiten und wirst nicht eine Ahnung dessen wittern, was jene ausmacht, mit denen wir unsere Geheimnisse teilen …«
    »Aber wenn da nichts Magisches an ihm ist, weshalb beschließt einer, der bereits zu Füßen großer und weiser Herren gedient hat, eines solchen wegen sein Dasein aufs Spiel zu setzen?«
    »Er hält ihn für einen Auserwählten«, raunte die weibliche Stimme.
    »Ha, wen man nicht alles schon für auserwählt hielt!«, dachte der Alte gehässig.
    »In unserem Sinne«, ergänzte die Frau. »Er will die Menschen dazu bringen, sich ihrem Schatten zuzuwenden.«
    »Mensch und Schatten sind entzweit. Niemand außer uns weiß die Einheit zu leben. Sie ahnen ihre Schatten ja nicht einmal mehr, geschweige denn das, was sich in ihnen verbirgt«, drang die scharfe Stimme ins Dunkel.
    Die Schatten der Großmeister umfuhren, durchmischten und veränderten sich, tonlos flüsternd, Gedanken tauschend, die von ihren Herren Tausende von Kilometern entfernt gedacht wurden.
    Diese fünf Schatten waren die Einzigen, die sich nicht mit anderen mischten, wenn sie es nicht wollten; die Einzigen, die den Willen ihrer Herren in sich trugen. Sie waren der Rat der Schatten. Die letzte Instanz, die über das Gleichgewicht zwischen Schatten und Menschen wachte und die alte Magie des Zwielichts bewahrte.
    Nun stand das gewöhnliche Abbild eines Menschen im Begriff, die ältesten aller Gesetze zu brechen und seinem Herrn die Geheimnisse der Schatten zu offenbaren. Und damit gefährdete es das Gleichgewicht der Dinge …
    »Wenn er diesem Knaben unsere Geheimnisse verrät, sollte man ihm Einhalt gebieten, ihn von den Füßen seines Herrn zerren und im Nimbus zu Schwarz zerreiben, bevor noch Schlimmeres geschieht«, flüsterte der Alte.
    »Wenn er ihn weiter lehrt, wird der Knabe am Ende noch hier in unserer Mitte weilen«, gab die zweite Stimme zu bedenken.
    »Hat einer den Wächter befragt?«, wollte die weibliche Stimme wissen.
    »Wonach? Ob diesem Frevel ein höherer Wille innewohnt?«, schalt sie scharf die erste.
    »Er weiß mehr als die Orakel, er hat an der Quelle geruht, im Schatten Gottes gestanden«, entgegnete sie dem Dunkel im Dunkel.
    »Als er noch auf die Erde fiel …«, stimmte der Bedächtige zu.
    »Ihr wisst auch ohne den Wächter, was die Zeichen flüstern. Die Zeit der vergorenen Schatten naht, der Aufstand der Knechte, die Schmähung der Herren«, zischte scharf und hart die Stimme des ersten dazwischen und vibrierte im Dunkel.
    »Jeder von uns weiß es. Und doch versteht keiner, was es bedeutet«, wisperte der Ruhige.
    »Nur, dass es die Welt der Schatten verändern wird«, mischte die Stimme der Frau sich ins Schwarz.
    »Von Grund auf«, ergänzte der Alte.
    »Vielleicht hat dieser Knabe etwas damit zu tun …«, dachte der Ruhige weiter.
    »Wir sollten ihn beobachten«, regte die weiche Stimme der Frau inmitten des Schwarz an. Und der Alte stimmte ihr zu.
    »Gebt ihm Zeit. Was er dieses Kind in einem Jahr lehren kann, muss uns keine Angst machen. Was er in zweien lehrt, wird uns nicht gefährden, und selbst in dreien wird der Knabe uns nicht ebenbürtig sein. Selbst dann bleibt noch genügend Zeit, seinen Schatten abzutrennen und seine Knochen zu zerschmettern, wenn es sein muss.«
    »Lassen wir die Sache schwelen, bevor das Feuer ausbricht …«, flüsterte der harte Ton in ihr gemeinsames Dunkel.
    »Selbst wenn ein Feuer daraus wird, kommt es noch immer darauf an, was es schließlich verbrennt«, gab der Alte zu bedenken.
    »Du sprichst, als gäbe es Dinge, die du gern brennen sähest.« »Feuer reinigt. Das hat es schon immer getan.«
    »Das haben auch andere gesagt. Und ihre Flammen haben im Lauf der Jahrhunderte sowohl die Bücher der Wissenden als auch die Angehörigen der alten Schule verzehrt.«
    Und dann klangen die Worte jenes Schattens, der bis dahin geschwiegen hatte, durch das Dunkel. Und seine Stimme ließ die Finsternis erschaudern: »Wer immer diese Feuer entfachte und was immer sie verbrannten – wenn man den Zeichen
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