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Der letzte Aufguss

Der letzte Aufguss

Titel: Der letzte Aufguss
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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räusperte sich wieder.
    Cumberland blickte auf und zog den Atemschutz vom Gesicht. »Wer sind
Sie denn?«
    Â»Bietigheim«, er streckte die Hand aus, »Professor Dr. Dr. Bietigheim.
Ich bin der neue Leiter des Instituts für Kulinaristik.«
    Â»Sie sind also der Lebensmüde? Na, da sind Sie hier ja genau
richtig. Schauen Sie sich schon mal um, und suchen Sie sich ein Plätzchen aus.«
Er lachte.
    Hm, dachte Bietigheim, Pit würde diesen Burschen sicher direkt ins
Herz schließen. Doch er war nicht Pit. Beileibe nicht.
    Â»Sie haben einen gesunden Sinn für Humor. Das sieht man ja an Ihrer
Kleidung.«
    Cumberland blickte an sich herunter. »Schick, oder? Aber Sie sind
sicher nicht wegen Kleidungstipps hergekommen, sondern wegen …«
    Â»â€¦Â meiner Arbeit über die Henkersmahlzeiten von Selbstmördern.«
Bietigheim hatte sich vorbereitet und die Arbeitsschwerpunkte seines Gegenübers
recherchiert. Selbstmörder waren Cumberlands Steckenpferd. Über deren
Mageninhalte hatte er bisher jedoch nichts veröffentlicht. Da trafen sich ihre
Disziplinen.
    Es war ein schmackhafter Köder.
    Cumberland biss an – und legte sein Sandwich ab. Auf die blanke
Brust der Leiche vor sich. »Henkersmahlzeiten? Spannende Frage.«
    Â»Der Londoner Spitzenkoch Gordon Ramsay meint, sehr eigenwillige
Menükreationen wie Lachs mit Erdbeeren und Schweinemedaillons in
Käse-Nektarinen-Soße eignen sich als Henkersmahlzeit für Selbstmörder, aber
keinesfalls für hungrige Gäste.« Bietigheim hatte sich diese witzige Aussage
extra gemerkt, um das Eis zu brechen.
    Â»Das sieht diesem Spinner ähnlich. Der Bursche hasst Vegetarier, das
sagt ja schon alles.« Cumberland drehte die Musik leiser. »Wollen Sie was
trinken? Ich hab jetzt sowieso Frühstückspause, da können wir reden. Ein Lager?
Oder lieber Einbalsamierflüssigkeit?«
    Oh ja, Pit würde ihn lieben.
    Â»Ein Bier wäre … klasse.« Heute musste er sich wohl mit dem normalen
Volk gemeinmachen. Und Bier trinken.
    Â»Klasse, kommt sofort, eisgekühlt. Ich ess nur erst noch zu Ende.«
Cumberland griff nach dem Sandwich, das er auf der Leiche geparkt hatte, und
biss herzhaft hinein. »Also, Henkersmahlzeiten, dazu fällt mir erst mal Seppuku
ein, Sie wissen schon, dieser rituelle japanische Selbstmord.«
    Bietigheim sah aus dem Augenwinkel, wie sich etwas auf den
Seziertischen bewegte. Wo steckte eigentlich Benno? Lag der nicht eben noch
neben der Eingangstür? Na ja, er würde schon keine Dummheiten machen.
    Â»Retronasal.«
    Â»Was haben Sie gesagt?«
    Â»Ich habe mich nur ein wenig geräuspert. In Hamburg, wo ich
herkomme, klingt das … ähm … Räuspern manchmal wie ein Wort.«
    Â»Klang wie retronasal.«
    Â»Wo bleibt eigentlich das Bier?«
    Â»Kommt sofort, guter Mann!«
    Cumberland öffnete einen Schrank, in dem neben allerlei
medizinischen Flüssigkeiten auch eine ganze Lage Bier untergebracht war. Er
schmiss Bietigheim eine Dose zu. Dieser versuchte sie vergeblich zu fangen. Er
hob sie auf, und brauchte drei Versuche, um sie zu öffnen. Das Bier schoss ihm
ins Gesicht.
    Cumberland sah ihn verständnislos an.
    Â»So … ähm … trinken wir das immer in Hamburg. Hamburg … die schaumgeborene
Stadt … kennt man doch.«
    Â»Das ist Vergeudung wertvollen Gerstensaftes«, erwiderte der Gerichtsmediziner
grimmig. Dann hellte sich seine Miene auf. »Aber sah irre komisch aus. Also, wo
war ich? Seppuku! Das ist bei den Japanern ein sehr detailliertes Ritual. Kennt
man ja von deren Teezeremonie, alles ganz genau vorgeschrieben. Beim Seppuku
waren Zuschauer dabei, der Samurai wurde gebadet und in weiße Kleidung
gesteckt, und er bekam sein Lieblingsessen. Später musste er dann noch ein
Todesgedicht schreiben. Ich weiß aber nicht, ob moderne Selbstmörder auch ihr
Lieblingsessen zu sich nehmen. Ich vermute, sie sind so verzweifelt und mit den
Nerven am Ende, dass sie nix runterkriegen und sich weiß Gott keine Gedanken
machen, was sie im Magen haben, wenn der Tod sie heimholt.«
    Bietigheim beendete die Trocknung seines Gesichts und zog die
durchnässte Fliege aus – wodurch er sich ein wenig nackt fühlte. Er hielt eine
Hand vor den Kragen. »Da fällt mir ein: Rikyu, der Begründer des Wabisuki, des
reinen und schlichten Wegs des Tees, beging
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