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Der Kuss des Meeres

Der Kuss des Meeres

Titel: Der Kuss des Meeres
Autoren: Anna Banks
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zu entscheiden, welche Blumen ich am besten zu ihrer Beerdigung mitbringe, nachdem ich sie eigenhändig erwürgt habe. Ich hätte in Jersey bleiben sollen, wie Mom gesagt hat, statt mit Chloe und ihren Eltern hierherzukommen. Was habe ich denn in Florida verloren? Wir leben an der Küste von Jersey. Strände– kennst du einen, kennst du alle, richtig?
    Aber neiiiiiiiin. Ich musste ja mitkommen, um den Rest des Sommers mit Chloe zu verbringen, unseren letzten gemeinsamen Sommer vor dem College, bla, bla, bla. Und jetzt rächt sie sich, weil ich mich gestern Abend geweigert habe, ihr meinen Ausweis zu leihen, damit sie sich tätowieren lassen kann. Aber was hat sie denn erwartet? Ich bin weiß und sie ist schwarz. Ich bin nicht mal sonnengebräunt weiß. Ich bin Kanada-Touristen-weiß. Wenn der Kerl sie mit mir verwechselt hätte, dann sollte er lieber niemanden tätowieren, oder? Ich habe sie also beschützt. Nur dass sie das nicht so sieht. Ich sehe es an diesem Ausdruck in ihren Augen– genau diesen Ausdruck hatte sie auch, als sie mein Desinfektionsgel gegen ihr Gleitgel ausgetauscht hat–, dass sie auch noch den letzten Rest meiner Selbstachtung nehmen und darauf herumtrampeln wird wie ein Elefant.
    » Ähm, wir haben deinen Namen nicht verstanden. Hast du seinen Namen verstanden, Emma?«, fragt sie wie aufs Stichwort.
    » Ich habe es versucht, Chloe. Aber er wollte ihn mir nicht verraten, deshalb habe ich ihn angegriffen«, sage ich und verdrehe die Augen.
    Der Typ grinst. Dieses Beinahe-Lächeln lässt schon vermuten, wie atemberaubend sein richtiges Lächeln sein muss. Das Kribbeln ist wieder da und ich reibe mir die Arme.
    » He, Galen, bist du so weit…« Wir drehen uns alle zu einem zierlichen, schwarzhaarigen Mädchen um, das ihn an der Schulter berührt. Als sie mich sieht, bricht sie mitten im Satz ab. Selbst wenn die beiden nicht das gleiche kurze, dunkle Haar hätten, die gleichen violetten Augen und die gleiche makellose, olivfarbene Haut, wäre mir klar, dass sie verwandt sind. Und zwar wegen ihrer eindeutigsten Gemeinsamkeit– dieser Angewohnheit, einen unverhohlen anzustarren.
    » Ich bin Chloe. Das ist meine Freundin Emma, die deinem Freund Galen anscheinend einen Kopfstoß verpasst hat. Wir waren gerade dabei, uns zu entschuldigen.«
    Ich kneife mir in den Nasenrücken und sage zehnmal lautlos Mississippi , obwohl fünfzigmal wohl besser wäre– dann hätte ich nämlich genug Zeit, um mir auszumalen, wie ich Chloe ihre neuen Extensions herausreiße.
    » Emma, was ist los? Du hast doch nicht etwa Nasenbluten, oder?«, zwitschert sie und genießt das Ganze sichtlich.
    Das Kribbeln ballt sich in meinem Kinn, als Galen es mit einem gekrümmten Zeigefinger anhebt. » Deine Nase blutet? Lass mich mal sehen«, sagt er. Er dreht meinen Kopf von einer Seite zur anderen und beugt sich näher heran, um besser sehen zu können.
    Und ich habe meinen persönlichen Gipfel der Peinlichkeit erreicht. Stolpern ist schon schlimm genug. In jemanden hineinzustolpern, ist noch viel schlimmer. Aber wenn dieser Jemand einen Körper hat, der jede gemeißelte Statue eifersüchtig machen könnte– und auch noch glaubt, du hättest dir die Nase an seiner gestählten Brust gebrochen–, nun, dann grenzt Stolpern schon an aktive Sterbehilfe.
    Er ist sichtlich überrascht, als ich seine Hand wegwische und zur Seite trete. Es scheint seine Freundin/Verwandte ziemlich aus der Fassung zu bringen, dass ich seine Haltung nachahme– vor der Brust verschränkte Arme und tiefes Stirnrunzeln. Ich bezweifele, dass sie schon jemals ihren persönlichen Gipfel der Peinlichkeit erreicht hat.
    » Ich sagte, es geht mir gut. Kein Blut, keine Verletzung.«
    » Das ist meine Schwester Rayna«, sagt er, als hätte sich das Gespräch ganz selbstverständlich in diese Richtung entwickelt. Sie lächelt mich so gezwungen an, als würde ihr jemand ein Messer vorhalten. Es ist so ein Höflichkeitslächeln, wie man es seiner Großmutter schenkt, wenn sie einem mal wieder einen selbst gestrickten Pullover überreicht, der die Farbe von fauligem Kohl hat. An diesen Pullover denke ich jetzt, als ich ihr Lächeln erwidere.
    Galen beäugt das Surfbrett, das vergessen am Geländer der Strandpromenade lehnt. » Die Wellen hier eignen sich nicht wirklich gut zum Surfen.«
    Small Talk gehört nicht zu Galens Stärken. Genau wie bei seiner Schwester hat seine Höflichkeit etwas Gezwungenes. Aber im Gegensatz zu ihr verbirgt sich dahinter keine
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