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Der Kuss des Greifen

Der Kuss des Greifen

Titel: Der Kuss des Greifen
Autoren: Sharon Morgan
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ohnehin, dass es ihr gelingen würde, es zu überraschen. Gewiss besaß es ein dem der Menschen weitaus überlegenes Gehör, ganz zu schweigen vom Geruchssinn.
    Nur durch eine List oder ihre Schnelligkeit würde sie es besiegen können. Lysandra lauschte, vernahm jedoch nichts als das Sausen des Windes, der über die steilen, zerklüfteten Felsen strich. Die Geckos und Smaragdeidechsen, deren Wege sie kreuzte, bewegten sich beinahe lautlos zwischen den kargen Gräsern und Flechten.
    Lysandra bezweifelte, dass es sich bei dem Ungeheuer um die legendäre Schlange Python handelte, die wiederauferstanden sei. Warum sollte sie gerade jetzt zurückkehren nach so langer Zeit? Konnte man Apollon nicht vertrauen, sein Werk vollendet zu haben und stattdessen den Python versehentlich am Leben gelassen zu haben? Nein, denn würde es sich um dieselbe Kreatur handeln, so hätte sie Delphoí bereits viel früher heimgesucht oder zumindest hätte es Anzeichen ihrer Existenz gegeben. Wie sollte Lysandra außerdem eine Kreatur töten können, die so alt war wie die Zeit und unbesiegbar selbst für den Gott Apollon?
    Ihr Mund war trocken. Ihre Zunge fühlte sich pelzig an. Der sichere Tod stand ihr bevor, doch zumindest wollte sie einmal ihren Mut beweisen oder lieber sterben. Sie war sich des Lebens in Feigheit überdrüssig und der Hänseleien, die am Tag zuvor eskaliert waren. Ihr Ziehbruder Damasos und seine Freunde hatten sie derart verspottet, dass sie heute noch außer sich war. Keinen Tag länger wollte sie dem Hohn der jungen Männer ausgesetzt sein. Lieber verbrannte sie im Feuer des Drachen.
    Ein Stein löste sich unter Lysandras Sohlen und rollte den Berg hinab. Ihre Hände, mit denen sie die Stoßlanze umklammerte, waren feucht. Der Eingang der Grotte geriet in Sichtweite. Sie konnte ein gutes Stück hineinsehen, doch den Drachen erblickte sie nicht. Womöglich verbarg er sich tiefer in der Höhle.
    Plötzlich durchdrang ein Fauchen die Luft. Lysandra erschrak, überwand jedoch sogleich die Starre und duckte sich weg, gerade rechtzeitig, bevor die riesigen Klauen der Kreatur sie zerfetzen konnten. So einfach wollte sie es dem Drachen nicht machen, sie zu töten. Der Luftzug gewaltiger Schwingen riss ihr an Haar und Gewand.
    Lysandra sprang hinter einen Felsen und lugte vorsichtig über den Rand. Die überlebenden Krieger hatten sich definitiv geirrt: Dies war nicht Python. Von jenem Drachen, der einer geflügelten Schlange ähnelte, konnte keine Rede sein. Dieses Wesen besaß den Leib einer gigantischen Katze, eines Löwen, wie sie durch die Erzählungen der Älteren wusste, und den Kopf sowie die Flügel eines Adlers. Es handelte sich eindeutig um einen Greifen!
    Seine Schwingen verfinsterten den Himmel, als er erneut angriff. Durch irgendetwas irritiert hielt er mitten in der Luft inne, legte den Kopf schräg und musterte sie heimtückisch aus seinen starren, kalten Raubvogelaugen.
    Lysandra nutzte seinen kurzen Moment des Zögerns – was auch immer diesen verursacht haben mochte – und warf die Lanze in Richtung seines Herzens. Keine Schuppen hinderten sie daran, er besaß nur golden schimmerndes Fell. Blut quoll heraus, wo ihn die Lanze getroffen hatte, jedoch nicht allzu tief eingedrungen war. Sein Schrei durchdrang die Luft und erschütterte alles. Klang er gar entfernt menschlich? Sie musste sich irren.
    Lysandra fluchte. Sie hatte ihn nicht richtig getroffen. Vermutlich war die Lanze an einer Rippe abgeprallt. Die Bestie würde überleben – sie aber nicht.
    Lysandra fluchte erneut, als der Greif vom Himmel herabstürzte – genau auf sie zu! Sie hastete zur Seite, doch es war zu spät. Lysandra fiel der Länge nach hin. Schmerz erfüllte ihren Rücken und ihre Beine, wo die Kreatur auf ihr landete. Ein Hieb dieser dolchartigen Klauen würde genügen, um ihr Leben auszulöschen. Der felsige Boden, in den sie gedrückt wurde, war das Letzte, was sie sah, bevor ihr Bewusstsein schwand.
     
    Schmerz durchdrang Celtillos’ Leib. Ein Schrei entrang sich seiner Kehle und hallte über Berg. Er stürzte hinab, genau auf die Angreiferin. Celtillos versuchte auszuweichen, doch es war zu spät. Sie fiel der Länge nach hin, hatte aber das Glück, dass er nicht mit seinem vollen Gewicht auf ihr landete. Offenbar war sie bewusstlos. Er hatte sie nicht töten, sondern so erschrecken wollen, dass sie davonlief, wie die meisten vor ihr es getan hatten.
    Celtillos umfasste mit einer seiner Vorderklauen die Lanze und zog sie
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