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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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verlassen,« setzte sie leise und schmerzlich hinzu, »ich kann es nicht sagen, aber eine Sehnsucht ergriff mich nach dir, mein Wolf, nach meinem einzigen Kinde, das mir noch geblieben, der ich endlich nicht länger widerstehen konnte. War es eine Ahnung, Wolf? – Du hast vielleicht gerade in der Zeit gefährlich krank gelegen, ohne deine Mutter ein Wort davon wissen zu lassen und sie an dein Lager zu rufen?«
    »Nein, liebe Mutter,« sagte Wolf mit vor innerer Bewegung erstickter Stimme, denn ihn drängte es, den Sohn wieder an das Herz der Mutter zu führen. »Ich nicht, aber dennoch hat dich deine Ahnung nicht getäuscht. Ein anderer lag schwer krank danieder, wenn auch nicht an Körper, doch an Geist, und ist jetzt vollständig und froh genesen. Mutter – liebe Mutter – bist du stark genug, eine recht große Freude zu ertragen?«
    »Wolf!« rief die alte Dame und Leichenblässe deckte in dem einen Moment ihre Züge, »ich – ich kenne nur eine große Freude in der Welt. – Wolf,« fuhr sie fort, indem sie mit zitternder Hand des Sohnes Arm ergriff, »weißt du – weißt du von Georg?«
    »Er lebt,« sagte Wolf leise, die Mutter dabei umfassend.
    »Er lebt? Gott sei ewig gelobt, und seinen Segen auf dein Haupt, mein Kind, für diese Kunde – und – geht es ihm gut?«
    »Ja, Mutter – er – wird kommen – hierher.«
    »Hierher? wann, Wolf – wann?«
    »Bald – recht bald. Er hat viel gelitten und ertragen, aber die früheren Fehler auch bereut und abgebüßt – wirst du ihm verzeihen?«
    »Fragst du das die Mutter? Vater im Himmel, meine ganze Seele drängt hin nach dem verlorenen Kinde. O, er ist hier, Wolf, quäle mich nicht länger; ich bin stark – ich bin kräftig. Die Freude tötet nicht, da es die langen Jahre der Schmerz, der bitter nagende Schmerz nicht vermochte. O, laß mich hin zu ihm!«
    »So rasch geht es nicht, Mutter,« lächelte Wolf unter Tränen, indem er mit Gewalt nach Fassung rang. »Ich will ihn rufen lassen; selber hat ja noch keine Ahnung von deiner Nähe. Bleibe indessen hier – ich bin bald wieder bei dir.«
    »Und du kehrst bald zurück? – mit ihm?«
    »Noch weiß ich ja nicht, ob ich ihn gleich finde – aber heute noch sollst du ihn sehen – gewiß. Sammle dich, Mütterchen, bis dahin. Du wirst große Freude an ihm haben, denn er ist ein wackerer, braver Mann geworden in der Zeit.« – Und selber zitternd vor Freude und ängstlicher Erwartung verließ Wolf das Zimmer, den Bruder auf dieses Wiedersehen vorzubereiten. Alles, was ihn selber drückte und beengte, hatte er auch vergessen, vergessen in dem einen frohen Gedanken, den Bruder – die Mutter wieder vereinigt, glücklich zu sehen. Das andere lag alles entfernt, und mit dem Gefühl der eigenen Kraft, dem Bewußtsein, gut und treu gehandelt zu haben, hob sich ihm die Brust froh und leicht, und er empfand das reinste, schönste Glück dieser Welt: im eigenen Entsagen eine gute, edle Tat getan zu haben.
    Doch wer könnte mit Worten dieses Wiedersehen schildern – die Seligkeit, die jetzt die Herzen dieser guten Menschen füllte! Georg lag vor der Mutter auf den Knien, seine Arme um sie geschlagen, sein Antlitz an ihrem Herzen bergend, und während sie das liebe Haupt wieder und wieder küßte, fielen heiße Freudentränen in die dunkeln Locken des Sohnes. Wolf war Zeuge dieses ersten seligen Augenblickes, dann aber verließ er leise das Zimmer, die Glücklichen nicht zu stören, und als er wieder, Josefinen an der Hand, zurückkehrte, saß die Mutter neben ihrem wiedergefundenen Sohne, ihre beiden Hände fest um seine Rechte geschlossen, als ob sie ihn jetzt festhalten und wahren wolle für alle Zeiten; sie schaute in seine treuen, klaren Augen und wurde nicht satt ihn anzusehen und die lieben Laute seiner Stimme zu hören. Was er sprach, verstand sie freilich nicht, die Töne verschwammen ihr wie ferner Glockenklang vor den Ohren, aber sie hatte ihn wieder – sie hielt seine Hand, sie hörte seiner Stimme Musik, und jeder ihrer Atemzüge war ein Dankgebet zu Gott. Und da die Enkelin – zitternd fuhr sie von ihrem Sitz empor, und Josefine, schüchtern halb, halb ahnungsvoll dem süßen, ungekannten Klange des Wortes Großmama entgegenlauschend, glitt zu ihr hin, die Hand der ihr noch fremden Dame zu küssen, und fühlte sich von ihren Armen umschlungen, fühlte sich emporgezogen zu ihr und geherzt und geküßt, und weinte still jetzt an der neuen Mutter Brust. Wie aber nur der erste Freudenrausch vorüber war,
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