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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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Der Rittmeister von Geyerstein sah sich den Morgen über durch seinen Dienst teils auf der Parade, teils bei Hofe gefesselt und kam erst gegen zwei Uhr nach Hause, während er um fünf Uhr schonwieder zur Tafel befohlen worden. Zum nicht geringen Erstaunen seines Burschen kleidete er sich aber, so wie er zurückkehrte, um und in Zivil, und wählend dieser, immer dabei mit dem Kopfe schüttelnd, die verschiedenen nötigen Gegenstände herbeibrachte, sagte sein Herr: »Hast du mir die Wohnung gefunden, die ich dir aufgetragen, Karl?«
    »Zu Befehl, Herr Rittmeister – die von dem Seiltänzer meinen Sie doch?«
    »Von Monsieur Bertrand.«
    »Sehr wohl. Rosenstraße Nummer 47, zweiter Stock, erste Tür rechts.«
    »Rosenstraße? – wo ist die Rosenstraße? die kenne ich gar nicht.«
    »Gleich am Landgrafenplatz, zu Befehl, die kleine Gasse, die hinter der Bude hineinläuft. Nummer 47 ist das rechte Eckhaus, aber der Eingang in der Gasse drin. Das Haus selber heißt auch die Rose und war früher ein Hospital, ist jetzt aber ein Wirtshaus, und die Kunstreiter kehren gewöhnlich dort ein, weil ihnen die Ställe unten bequem liegen und der Mann, dem das Haus gehört, auch Futter und Streu zu verkaufen hat.«
    »Es ist gut, du – kannst mir eine Droschke holen.«
    »Herr Rittmeister halten zu Gnaden, um fünf Uhr Tafel.«
    »Ich weiß es – bis dahin bin ich wieder zurück. Du gehst mir indessen nicht fort und hältst alles bereit.«
    »Sehr wohl, Herr Rittmeister!«
    Wenige Minuten später rasselte die Droschke über das Pflaster und hielt vor der Tür.
    »Wohin?« fragte der Kutscher.
    »Landgrafenplatz!« und fort klapperte das Fuhrwerk, der bezeichneten Richtung zu.
    Am Landgrafenplatz angekommen, schaute der Kutscher in das vordere Fenster hinein, zu erfahren, ob er sich rechts oder links halten müsse. Eine Handbewegung des Fahrenden wies ihn zurecht, und in der Nähe der kleinen Straße angekommen, stieg der Rittmeister aus. Er wollte nicht vor dem Hause mit dem Wagen halten. Den bezeichneten Platz fand er ohne Schwierigkeit. Die Beschreibung des Burschen war genau gewesen, und er betrat gleich darauf einen dunkeln, schmutzigen Hausflur, in dem sich nur ein paar Pferdeknechte herumtrieben und mit dem hindurchgehenden Hausmädchen schäkerten. Einige Schwierigkeit hatte es, die Treppe in den zahlreichenEinschnitten des alten Gebäudes zu finden, die zu ebenso vielen Keller- oder Stubentüren, bald mit Stufen abwärts, bald aufwärts, führten. Endlich fand er aber die schmale hölzerne Stiege, der er, ohne weiter jemandem zu begegnen, bis in die zweite Etage folgte. Die ihm von seinem Burschen bezeichnete erste Tür rechts trug eine daran geheftete Visitenkarte, und als er näher trat, las er die mit feiner, zierlicher Schrift gestochenen Worte »George Bertrand.«
    »Georg,« flüsterte der Rittmeister leise vor sich hin, und zögernd und unschlüssig hob sich seine Hand nach dem Drücker. Sollte er anklopfen? – aber die Zeit verging, und im nächsten Augenblicke tönte ihm schon ein lautes »Herein!« aus dem Zimmer entgegen.
    Ohne sich länger zu besinnen, öffnete er die Tür und überraschte hier eine Dame, die sehr ungeniert und in tiefstem Negligé auf dem Sofa lag, auch nur langsam den Kopf nach dem Eintretenden umdrehte. Kaum aber erkannte sie, daß es ein Fremder sei, als sie auch blitzschnell aufsprang und wie ein Schatten durch die dicht daneben befindliche Tür huschte. Verlegen, hier so gestört zu haben, sah sich der Rittmeister im Zimmer um und entdeckte jetzt erst in der andern Ecke, dicht am Fenster, noch eine andere Persönlichkeit, einen älteren Mann, der ihn mit eben nicht freundlichem Blick und etwas vorgebogenem Kopfe über eine Klemmbrille hinüber betrachtete.
    »Suchen Sie jemanden?« sagte er dabei mit heiserer Stimme.
    »Herrn Bertrand. Ist er zu Hause?«
    »Nein.«
    »Wann kann ich ihn treffen?«
    »Weiß ich nicht. Was wollen Sie?«
    »Ich möchte ihn sprechen.«
    »Müssen Sie morgen wiederkommen – heute hat er keine Zeit,« brummte der Alte, der, wie der Rittmeister jetzt erst sah, mit einer kurzen Pfeife im Munde, eine Hanswurstjacke auf den Knien liegen hatte und beschäftigt schien, sie mit Nadel und Zwirn auszubessern.
    »Ich bitte den Herrn, ein klein wenig zu warten – ich komme den Augenblick,« rief da die Stimme der Dame aus dem Nebenzimmer, und der Alte, als ob damit die Sache für ihn erledigt sei, schob sich seine Brille zurecht und nahm seine Arbeit wieder auf. Der
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