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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn
Autoren: Anna Seghers
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Gesicht war immer noch eine Spur von Erregung, etwas Aufgerissenes, Zügelloses. Er erschrak; er wußte nicht, daß dieselbe Erregungeben erst in seinem eigenen Gesicht erloschen war. Die kleinen Kinder lasen in der ganzen Küche die Federn zusammen und stopften sie in den Leinenbeutel, den Dora offenhielt. Fader Brandgeruch wechselte mit Fettgebrotzel, das die Frau gesprächig machte. »Eine nimmt der Naphtel für sich selbst. Die schlägt er aus den anderen heraus.« Bastian fügte hinzu: »Zu uns muß erst ein Fuchs kommen.« Die Frau nahm das Fett ab mit einem langen Schöpflöffel. Bastian fuhr fort: »Bei uns springt die Kleie nich raus. Immer ’ne Mark weg, immer noch ’ne Mark. Muß es am Dritten rein oder am Fünften, für den Kastrizius die Rate?« Die Frau sagte: »Immer fragste, und immer is es am Dritten.« Bastian sagte: »Immer frag ich, und immer is es am Dritten, und ich weiß nich, wie sie rein soll.« Dora, die den Federbeutel zunähte, blickte ihren Vater erschrocken an. Sie fürchtete sich, sobald von der Pumpenrate gesprochen wurde. Sie fühlte, daß sie schuld hatte. Bastian häutete den Hals mit zusammengebissenen Zähnen. Die Frau sagte: »Aus einer Gans kann man sehr viel machen.« Sie übersprang eine ganze Menge Gedanken und sagte zum Abschluß: »Weißt du noch, was es bei unserer Hochzeit gab? Braten und Meerrettich.«
    Johann hatte jetzt nichts zu tun. Die letzte Nacht hatte er ziemlich ausgeschlafen. Aber er hatte doch einen zweiten guten Schlaf bitter nötig. Er kam nicht mit sich zurecht. Er hätte lachen können oder losheulen. Die Frau erklärte, sie wollte jetzt allein beim Herd bleiben, die anderen sollten sich noch eine Stunde legen, weil jetzt Sonntag sei.
    Johann streckte sich sogleich auf seiner Bank hin. Aber Bastian kam noch einmal zu ihm und sagte: »Johann, da kannst du heute also mithalten.
    Es ist ja auch Sonntag. Da wirst du’s nicht so dringend haben nach Botzenbach.
    Da kannst du also heute wirklich Gans essen.
    Da bist du also eingeladen.«

Zweites Kapitel
I
    Sonntag, am späten Nachmittag, fuhr ein mit Menschen vollgequetschtes Lastauto in einer mächtigen Staubwolke auf der Landstraße von Billingen nach Oberweilerbach. Auf dem Auto saßen außer dem Fahrer ein Dutzend Bauernsöhne aus den anliegenden Dörfern, ältere und jüngere Verwandtschaft, meistens Männer. Die Männer hatten schwarze Sonntagsröcke an. Die jungen Bauern hatten Windjacken mit Gürtel an, Schaftstiefel, Mützen mit Abzeichen. Auto und Fahrer gehörten der Brauerei Strohmeier in Billingen, die beides zur Verfügung gestellt hatte, sowie einige Fässer Bier und Quartier in ihren Räumen, für das Treffen, vorigen Abend in Billingen. Bei dem Treffen waren Reden gehalten worden von Doktor Döbritz, der extra deshalb gekommen war, von dem Landwirt Feder aus Billingen und von Heinrich Breideis vom Milchverband. Für die Menschen, die jetzt auf dem Lastwagen fuhren, waren alle drei Reden von geringer Bedeutung, mit dem einzigen Satz verglichen, den Christian Kunkel gesprochen hatte, ein junger, fünfundzwanzigjähriger Bauer aus Oberweilerbach, der jetzt vorn neben dem Fahrer saß. Mit erhobener Hand hatte Kunkel auf dem Podium wiederholt, was ihm Breideis eingeprägt hatte: »Heute bin ich aus meinem Dorf allein hier. Komm ich wieder, werden wir zwanzig sein, zwanzig mindestens, ja, bei Gott, das verspreche ich.« Kunkel hatte dabei seinen kleinen Bruder Gottlieb verschwiegen, der eingeklemmt in einer seitlichen Reihe saß und mit gerunzelter Stirn und zugepreßten Lippen seinen Bruder drobenbetrachtete. Jetzt saß er hinten im Auto zwischen zwei starken Burschen eingeklemmt und betrachtete ebenso den Rücken seines Bruders.
    Christian neben dem Fahrer war vergnügt und schweigsam. Die Felder waren übersät mit gleichmäßigen, glänzenden Gesichtern, die ihn mit offenen Augen und Mündern von unten anstarrten. Für Kunkel war der vergangene Abend der zweite große Abend seines Lebens. Der erste schloß den Beerdigungstag seines Vaters. Die Mutter saß noch und wischte an den Augen herum. Bruder und Schwester sahen ihn merkwürdig an. Da begriff er, daß er der Älteste war. Er hatte es damals sofort ausprobiert. Er sagte zu seinem kleinen Bruder Gottlieb: »Los mal, Rüben durchdrehen!« Gottlieb hatte etwas mit den Brauen gezuckt, sonst nichts. Er hatte die Rüben durchgedreht.
    Später, wenn Leute den Kunkel fragten: »Wie geht’s, wie steht’s?« erwiderte er auf jeden Fall: »Ich kann
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