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Der kleine Nadomir

Der kleine Nadomir

Titel: Der kleine Nadomir
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stören.
    »Er wird sterben«, antwortete die junge Frau, ohne sich umzublicken.
    »Vielleicht gibt es eine Rettung für ihn, Olinga.«
    »Er stirbt, Tordo.«
    Er öffnete seinen Umhang und ließ ihn einfach zu Boden fallen. Die junge Frau richtete sich auf und blickte ihn an. Für ein Chereber-Mädchen war sie ungewöhnlich groß: sechs Fuß und eine Handbreit und zwei Finger. Ihr Haar, dunkelbraun und borstig, war kunstvoll mit einem Geflecht aus Lederriemen verbunden. Ihr rundes Gesicht mit den großen dunkelbraunen Augen war nach den Begriffen der Bergvölker schön. Besonders anziehend wirkten die plattgedrückte Nase und der breite Mund. Bekleidet war sie mit einem dünnen Ledergewand, das ihre üppigen Formen unterstrich.
    »Wir haben einen Bären und drei Pferde erjagt, Olinga. Und zwei Gefangene mitgebracht.«
    »Wir brauchen keine Gefangenen. Sie sind nur zusätzliche Esser, die dem Stamm nichts nützen. Es wäre besser gewesen, du hättest sie gleich getötet.«
    »Das wollte ich auch, aber.«
    »Aber?«
    »Einer der beiden ist ein Schamane!«
    »Das hat er wahrscheinlich nur behauptet, damit du ihn am Leben lässt.«
    Tordo schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ich habe gesehen, wie er einen Bären mit einem brennenden Ast vertrieben hat. Er hat… «
    Olinga schnaubte verächtlich.
    »…Nokkos Wunde geheilt, die ihm der Bär beigebracht hatte.«
    »Jede Wunde heilt irgendwann einmal.« »Der Bär hat Nokko in den Unterarm gebissen. Die Verletzung war tief und schmerzhaft. Der Fremde, der sich Adagar nennt, hat sie mit einer Salbe bestrichen, die sofort die Schmerzen vertrieb. Und als wir im Morgengrauen aufbrachen, war die Wunde bereits verheilt!«
    Olinga blickte ihn durchdringend an. »Du willst, dass der Fremde Chwum heilt?«
    »Ja, das will ich.«
    Tordo wartete auf einen heftigen Widerspruch, doch er blieb aus.
    »Der Fremde soll es versuchen«, flüsterte Olinga fast unhörbar, »denn meine Heilkunst ist am Ende.«
    »Ich werde ihn holen.«
    »Bleib nur!« sagte Olinga und stand auf. »Ich gehe hinaus.«
    »Der zweite Gefangene soll der Helfer des Schamanen sein. Er gehört unserer Rasse an, doch er spricht kaum etwas. Sein Geist scheint verwirrt zu sein.«
    »Er interessiert mich nicht.«
    *
    Die junge Frau schritt an Tordo vorbei und trat vor die Erdhütte. Ihr Blick fiel auf den blonden Mann. Nie zuvor hatte sie solch ein Haar gesehen. Der Schamane war alt, doch seine grauen Augen funkelten listig. Er stand gekrümmt da und war offensichtlich erschöpft. Im Augenblick war er keine Hilfe.
    Und dann fiel Olingas Blick auf den Mann neben Sadagar. Tatsächlich, er musste ihrer Rasse angehören, dachte sie. Er sah ihnen sehr ähnlich, doch gleichzeitig war etwas um ihn herum, was ihn auch fremdartig machte. Es war nicht der stumpfe Ausdruck seiner Augen, der sie störte, auch nicht die Narben und das fehlende Ohr, denn gerade das machte ihn für sie anziehend.
    Es war etwas ganz anderes, was sie abstieß und gleichzeitig anzog, wie sie es nie zuvor bei einem Mann bemerkt hatte. Sie hatte einige Männer von anderen Stämmen näher gekannt, aber solch ein Mann war ihr nie begegnet.
    Olinga war zum Stamm der Chereber gekommen, als sie drei Jahre alt gewesen war. So wie bei vielen der Bergstämme üblich, war sie von ihren Eltern ausgesetzt worden. Die Chereber hatten sie gefunden und aufgenommen.
    Olinga war für den Stamm ein Glücksfall gewesen, da sie über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügte, die für einen Schamanen wichtig waren. Deshalb war sie auch Chwums Schülerin geworden, der ihr bereitwillig sein Wissen mitgeteilt hatte. Sie war für den Stamm ein Gewinn, trotzdem war sie allen anderen gleichgestellt. Sie handelte nach den Gesetzen des Stammes und wählte sich unter den Männern ihre Fellgefährten aus.
    Die meisten Frauen in ihrem Alter, sie war neunzehn Winter alt, waren bereits mehrmals schwanger gewesen, sie aber noch nicht. Denn sie wollte erst ein Kind haben, wenn sie den richtigen Fellgefährten gefunden hatte. Und der Fremde, der sie gleichgültig anglotzte, schien sich als geeigneter Fellgefährte anzubieten.
    »Bringt die beiden zum Starken Arm des Großen Albs «, sagte Olinga befehlend, »und gebt ihnen zu essen und zu trinken.«
    *
    Sadagar musterte die junge Frau aufmerksam. Für seinen Geschmack war sie viel zu groß und viel zu kräftig. Aber ihr Interesse an Nottr war offensichtlich. Sadagar kannte die Frauen und ihre Blicke. Er unterdrückte ein Seufzen, da er
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