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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler
Autoren: Sabine Thiesler
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nicht » so einer « von denen, die Mama und Papa meinten.
    Benjamin konnte gut verstehen, dass der Mann sich allein f ü hlte und sich als Gegenleistung f ü r seine Hilfe ein bisschen Gesellschaft und Unterst ü tzung beim Meerschweinchenf ü ttern w ü nschte. Wahrscheinlich war das allein auch furchtbar langweilig.
    Erst letzte Woche hatte Frau Blau im Religionsunterricht erz ä hlt, d Iss ganz viele alte Leute schrecklich einsam sind. Die in den Altersheimen hatten es ja noch gut, die konnten mit anderen wenigstens Canasta und Mau-Mau spielen, aber ganz viele lebten irgendwo in ihren Wohnungen und hatten niemanden. Keine Kinder, keine Verwandten und keine Freunde. Niemand wusste, dass sie da wohnten. Gerade in Neuk ö lln gab es eine Menge, die noch nicht mal einen Kanarienvogel hatten, sondern nur einen Fernseher und kaum Geld, um sich genug zu essen zu kaufen.
    Benjamin taten alle alten Leute, die so allein waren, furchtbar Leid, obwohl er es immer noch besser fand, einen Fernseher zu haben als einen Kanarienvogel. Aber er hatte immer geglaubt, allein ist man erst, wenn man alt ist. Dieser Mann war ja noch gar nicht so alt, aber trotzdem schon so schrecklich allein. Das fand Benjamin am allerschlimmsten.
    Was sollte er denn jetzt tun? Himmel, er hatte doch nicht alle Zeit der Welt, der Mann hielt ihn an der Hand und zog ihn immer weiter in die Kolonie. Sollte er sich losrei ß en und wegrennen? Und wenn der Mann schneller war? Er sah viel sportlicher aus als sein Vater, und der konnte schneller rennen als er wenn es darauf ankam. Beim letzten Sommerfest in der Hasenheide hatte er mit seinem Vater Wettrennen gemacht, und sein Vater hatte gewonnen.
    Deswegen musste seine Mutter eine Runde Zuckerwatte spendieren, denn sie hatte gewettet, dass Benjamin gewinnen w ü rde.
    Ja, ich renne weg, sagte sich Benjamin, ich versuch, da vorne, an der n ä chsten Abbiegung renne ich weg. So schnell ich kann. Der Mann wird mir sowieso nicht hinterherrennen. Der wird nur traurig sein oder b ö se, aber das ist ja egal Ich werde den sowieso nie wieder treffen, denn der wohnt ja gar nicht hier, der wohnt ja ganz weit weg in Heiligensee. Er kickte einen Kieselstein vor sich her. Der Kieselstein rollte schnell und weit vor. Benjamin hatte Lust hinterherzurennen und weiterzukicken, aber der fremde Mann hielt ihn immer noch an der Hand.
    Au ß erdem ist Papa bestimmt stinksauer, wenn ich mit dem Mann in die Laube gehe, fiel Benjamin noch ein, wahrscheinlich saurer als ü ber die F ü nf und die Sechs. Ja, es ist besser. Ich muss abhauen. Zehn Meter noch, dann renne ich nach rechts. Ohne was zu sagen. Ganz pl ö tzlich.
    » Du bist ein wirklich netter Junge « , sagte der Mann pl ö tzlich und l ä chelte. » Ich hab dir geholfen, und jetzt hilfst du mir. Das finde ich prima. Und ich denke, wir sollten Freunde werden. Meinst du nicht auch? «
    Benjamins Herz machte einen Sprung. Nein, jetzt konnte er nicht wegrennen. Das w ä re einfach gemein. Der Mann war so nett, und er vertraute ihm. Er konnte ihn jetzt nicht entt ä uschen. Schnell einen Kakao trinken und dann das bisschen Meerschweinchenf ü ttern, das ging ja schnell. So viel Zeit hatte er noch, er w ü rde es auf alle F ä lle rechtzeitig nach Hause schaffen und seinen Eltern gar nichts davon erz ä hlen, damit sein Vater nicht dachte, er w ä re dumm oder ungezogen, weil er nicht auf ihn geh ö rt hatte.
    Benjamin schaute auf seine Armbanduhr, die ihm seine Oma aus Bayern zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie war sehr schlicht und unauff ä llig, Benjamin gefiel sie nicht. Das war sicher auch der Grund, warum ihm die Typen vorhin die Uhr nicht geklaut hatten. Es war beinah eine M ä dchenuhr, fand Benjamin. Er hatte sich ein richtiges Chronometer gew ü nscht. Mit Sekundenzeiger, Stoppuhr, Datumsanzeige, Wecker, Weltzeituhr und nat ü rlich wasserfest. So eine Uhr war sein Traum, aber darauf musste er wohl noch eine Weile warten.
    Es war jetzt f ü nf nach zw ö lf. Normalerweise hatte er heute sechs Stunden, seine Mutter w ü rde erst kurz vor zwei mit ihm rechnen.
    Ich hab ja noch Zeit, dachte Benjamin, ich kann dem netten Mann eigentlich den Gefallen tun.

» Mein Gott, was hast du dir f ü r eine M ü he gemacht! « , sagte Peter, als er in die K ü che kam. » Hackbraten, So ß e, Nudeln und Porreegem ü se! Wahnsinn! Geht es dir denn heute so gut? « Er k ü sste seine Frau aufs Haar.
    » Es geht mir immer gut, wenn du zu Hause bist. «
    Peter hatte die Kritik durchaus
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