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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: John Harvey
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versucht, Shepperds Frau zu erreichen. Aber sie geht weder ans Telefon noch an die Tür.«
    »Besorgen Sie die Schlüssel«, sagte Resnick.
    Sie hatte das Haus gestaubsaugt und überall Staub gewischt, später als sonst, aber es war alles getan. Sie hatte sich ihr Abendgetränk zubereitet, den Topf und die Tasse gespült und auf die Trockenablage gestellt. Sie hatte sich ein Glas Wasser eingeschenkt und es mit nach oben ins Schlafzimmer genommen. Die zwei Medikamentenfläschchen standen leer auf dem Nachttisch.
    Lynn sah Resnick an und lief wieder zum Telefon.
    Sie hatte keinen Brief hinterlassen. Stattdessen lag auf dem Kissen neben ihr, wo sonst ihr Mann gelegen hatte, ein gelber Umschlag mit Fotografien von Stephen Shepperd, die letzten vor genau einer Woche aufgenommen, unscharf, aber erkennbar: Emily mit ihrem Puppenwagen, wie sie vom Vorgarten aus winkte.

49
    Der Sergeant, der Resnick am Flughafen abholte, war untersetzt, kahlköpfig und in einen dunkelgrünen Anorak eingepackt. Er trug schwarz-weiße Turnschuhe unter einer dicken Baumwollhose.
    »Hatten Sie einen guten Flug?« Er ließ Resnick die Beifahrertür selbst öffnen.
    »Er war jedenfalls kurz«, antwortete Resnick.
    Den Rest der Fahrt schwiegen sie.
    Das Haus war außerhalb des Dorfs, hoch oben auf der Landzunge. »Lassen Sie mich bitte hier raus«, sagte Resnick.
    »Ich bringe Sie gern ganz rauf.«
    »Nein. Hier. Und warten Sie.«
    Die Hände in den Taschen ging er an niedrigen Steinmauern und dem üppigen dunklen Grün massiger Rhododendren vorüber. Hier und dort schimmerte die See durch den Dunst; irgendwo da draußen war Irland. Das Haus waraus grauem Stein errichtet, kleine Türmchen ragten zum stumpfen Grau des Himmels empor; jemandes Vorstellung von einem Schloss.
    Geoffrey Morrison, in einem dicken Aranpullover über einer grünen Cordhose, stand fast unten am Ende des großen, sich am Hang entlangziehenden Gartens auf seinen Golfschläger gestützt und sprach in ein Funktelefon. Seine Frau Claire kniete weiter oben, in der Nähe des Wintergartens, in einem gesteppten Hausanzug im Gras und band die neuen Triebe der Loganbeeren hoch. Und zwischen den beiden schwang Emily mit vom Wind geröteten Wangen energisch auf einer grasgrünen Metallschaukel hin und her.
    Die glückliche Familie, dachte Resnick.
    Geoffrey Morrison brach sein Gespräch ab. Er war Resnick nur ein Mal begegnet, aber er erkannte ihn sofort. Insgeheim hatte er immer damit gerechnet, dass Resnick um die Ecke kommen und durch das Tor schreiten würde, Resnick oder jemand wie er.
    »Wie sind Sie darauf gekommen?«, fragte Morrison.
    »Sie und Ihre Frau tun jetzt Folgendes«, sagte Resnick. »Sie machen Emily reisefertig. Kein großes Getue. Ich weiß nicht, was Sie ihr schon erzählt haben, aber vorläufig braucht sie nur zu wissen, dass die Ferien vorbei sind und ihre Eltern herkommen, um sie zu holen. Sie kommen mit der nächsten Maschine. Klar?«
    Hundert Dinge wollte Geoffrey Morrison sagen, doch er sagte nichts.
    Resnick streckte die Hand aus. »Das Telefon«, sagte er.
    Morrison gab es ihm und wandte sich seiner Frau zu, die mit Emily an der Hand langsam näher kam.
    Insgesamt waren es fünf Fotografien von Emily. Stephen Shepperd hatte sie an jenem Sonntagnachmittag aufgenommen, als er beim Joggen am Haus der Morrisons vorbeigekommenwar und danach beinahe mit Vivien Nathanson zusammengestoßen wäre. Auf einem dieser Bilder war von Emily nicht mehr zu sehen als eine winkende Hand in einem Handschuh. Auf der anderen Seite dieses Bildes, ganz am Rand, gerade noch sichtbar, konnte man das Nummernschild eines Autos erkennen, eines Ford Orion, über den nichts bekannt war. Eine Computerüberprüfung hatte ergeben, dass es sich um einen Leihwagen vom Flughafen Birmingham handelte, keine anderthalb Stunden Fahrt entfernt. Die restlichen Einzelheiten waren leicht zu ermitteln gewesen.
    Geoffrey Morrison saß in einem der ledernen Clubsessel und wartete auf die Ankunft seines Bruders und seiner Schwägerin. Emily war mit Claire oben und packte ihre Sachen. Ab und zu drang Gelächter in die Stille des L-förmigen Zimmers mit der Glaswand, durch die der Blick über den Garten hinweg zum Meer ging.
    »Michael ist ein Loser«, sagte Geoffrey. »Das war er immer schon. Seine Ehe liegt in Scherben, Diana wird wahrscheinlich den Rest ihres Lebens mehr Zeit in der Klapsmühle verbringen als anderswo, und jede Chance auf eine Karriere und ein ordentliches Einkommen, die er vielleicht
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