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Der Kelte

Der Kelte

Titel: Der Kelte
Autoren: Claire Gavilan
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so anzüglich an, dass ihr vor Verlegenheit das Blut ins Gesicht schoss.
     
    Enora brauchte nicht lange, dann war sie wieder da. In ihrer Begleitung befand sich Monsieur Eiffel, der etwas befangen den kleinen Raum betrat und dabei seinen Hut in den Händen drehte.
    „Er hat sich bereit erklärt, uns eine Kutsche zur Verfügung zu stellen“, erklärte Enora. „Und er hat mir Kleidung für euch beide gegeben. Dafür gebührt Ihnen unser Dank, Monsieur.“ Sie reichte Alan und Rose je ein in Packpapier eingeschlagenes Paket und lächelte Eiffel dabei an.
    Er schluckte schwer. „Ich würde gern mehr für Sie tun“, sagte er, „und Sie persönlich in die Bretagne begleiten, aber leider ist mir das nicht möglich. Meine Gegenwart hier in Paris ist dringend erforderlich, weil die Bauarbeiten an meinem Turm schwieriger werden, je weiter das Vorhaben voranschreitet.“
    Während er sprach, hatte Rose ihr Paket ausgepackt. Es enthielt ein langes, ausladendes Kleid aus dunkelgrünem Samt mit Korsage und langen, mit Rüschen versehenen Ärmeln. Rose hob es vor sich in die Höhe, dann zog sie es kurzerhand über die Überreste ihres Nachthemdes. Es passte recht gut, nur die Korsage saß unangenehm eng, nachdem Enora die vielen Häkchen an ihrem Rücken zugemacht hatte.
    Alan hatte sich aus dem Bett erhoben und begann ebenfalls, sich umzuziehen. Ohne Umschweife zog er seine Jeans aus und ließ sie zu Boden fallen. Monsieur Eiffel glotzte etwas verblüfft, als er die schwarzen Boxershorts aus dem 21. Jahrhundert sah, die Alan trug. Kein Wunder, dachte Rose amüsiert. Elasthan war in dieser Zeit vermutlich eher unbekannt. Einigermaßen geschickt schlüpfte Alan in die schwarze Anzughose, die der Baumeister ihm mitgebracht hatte, aber das Hemd über seine verletzte Schulter zu streifen, bereitete ihm Schwierigkeiten. Rose trat hinter ihn, um ihm zu helfen. Sie hielt das Hemd so, dass er möglichst bequem hineinschlüpfen konnte, dann sah sie zu, wie er begann, die Knöpfe vor seiner Brust zu schließen.
    Während sie sich umzogen, lamentierte Monsieur Eiffel in einem fort über die Schwierigkeiten, die er beim Bau des Turmes hatte.
    „Von was für Schwierigkeiten reden wir?“, fragte Alan und verzog das Gesicht, weil seine Schulter schmerzte.
    „Je höher wir kommen“, erklärte Eiffel, „umso schwieriger wird es, geeignete Männer zu finden, die in der Höhe zu arbeiten wagen. Sie müssen wissen: Mein Turm wird das höchste Gebäude werden, das jemals von Menschenhand errichtet wurde – jedenfalls seit dem Turmbau zu Babel.“ Er gestattete sich ein kleines, stolzes Lächeln.
    „Männer, die keine Höhenangst haben“, sinnierte Rose und fragte spontan: „Warum stellen Sie keine Schornsteinfeger ein?“
    Monsieur Eiffels Kopf fuhr zu ihr herum. Für einen Moment lag ein überraschter Ausdruck auf seinem Gesicht, dann erhellte sich seine Miene schlagartig. „Was für eine geniale Idee, Mademoiselle! Schornsteinfeger sind die Arbeit in luftiger Höhe gewohnt! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?“
    Alan hatte inzwischen die Knöpfe des Hemdes geschlossen und nahm sich sein Jackett. Er fuhr mit dem gesunden Arm in den Ärmel, über die verletzte Schulter hängte er es einfach hinüber. „Wir können!“, sagte er durch zusammengebissene Zähne. In dem dunklen, altmodischen Anzug sah er überaus elegant aus.
     
    „Wie bist du auf die Idee mit den Schornsteinfegern gekommen?“, fragte Enora, nachdem sie ihr Zimmer bei der Wirtin bezahlt und Monsieur Eiffels Kutsche bestiegen hatten.
    Rose zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube, ich habe früher mal darüber gelesen, dass Eiffel Schornsteinfeger für den Bau seines Turmes benutzt hat.“
    Früher! , dachte sie. Es war ein sonderbares Gefühl, dass dieses „früher“ genau genommen in der fernen Zukunft lag.
    „Verstehe“, murmelte Enora nur.
    Sie verabschiedeten sich von Monsieur Eiffel. Während sie aus Paris hinausrollten, fühlte Rose sich müde und erschlagen. Kein Wunder, dachte sie. Bei allem, was sie in den letzten Stunden erlebt hatte. Ihr Kopf schmerzte noch immer, und obwohl ihr Tausende Fragen auf der Seele brannten, die sie Alan und Enora stellen wollte, lehnte sie den Kopf gegen die Scheibe der Kutsche und schloss für eine Weile die Augen.
    Sie hörte, wie Alan und Enora sich flüsternd unterhielten. Irgendwann verschwammen ihre Stimmen, und als einer von beiden die Worte „Cäsars Armee“ aussprach, löste das eine weitere
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